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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel
Autoren: Garth Nix
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würde ein Hochschulstudium Sabriel erlauben, mit ein paar Freundinnen zusammenzubleiben, die sie schon lange kannte und die sich wie sie selbst seit ihrem fünften Lebensjahr in Wyverley zu Hause fühlten.
    Und der Nachteil, ihre Magie zu verlieren, könnte möglicherweise durch den Vorteil aufgewogen werden, dass dadurch auch ihr enges Verhältnis zum Tod und zu den Toten abnahm…
    Daran dachte Sabriel, als sie nun wartete, ein Buch in der Hand und eine halb leere Teetasse auf der Armlehne. Es war schon fast Mitternacht, und Abhorsen zeigte sich noch immer nicht. Sabriel hatte bereits zweimal im Almanach nachgeschlagen und sogar die Fensterläden geöffnet, um durch die Glasscheiben zum Himmel zu spähen. Es war Neumond, doch ihr Vater ließ sich auch jetzt nicht blicken. Es war das erste Mal, dass er nicht erschienen war, und Sabriel empfand eine plötzliche Angst.
    Sie dachte selten darüber nach, wie das Leben im Alten Königreich war, doch jetzt fielen ihr Sagen und Geschichten ein, und Erinnerungen an ihre Zeit bei den Nomaden wurden wach. Abhorsen war ein mächtiger Zauberer, aber selbst damals…
    »Sabriel! Sabriel!«
    Eine schrille Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Laut und drängend pochte jemand an die Tür und rüttelte am Türknauf. Sabriel seufzte, stemmte sich aus dem Sessel, griff nach der Teetasse und schloss die Tür auf.
    Ein junges Mädchen stand davor, ihre Schlafkappe in den zitternden Händen. Ihr Gesicht war weiß vor Angst.
    »Olwyn!«, rief Sabriel. »Was hast du? Ist Sussen wieder krank?«
    »Nein«, schluchzte das Mädchen. »Ich habe Geräusche hinter der Turmtür gehört! Ich dachte, dass Rebece und Ila eine Mitternachtsfete ohne mich feiern, da hab ich nachgeschaut…«
    »Was!«, entfuhr es Sabriel erschrocken. Niemand öffnete so nahe am Alten Königreich mitten in der Nacht Außentüren.
    »Tut mir Leid.« Olwyn schluchzte. »Ich wollte es nicht. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe. Es waren nicht Rebece und Ila – es war eine schwarze Gestalt, die hereinzukommen versuchte. Ich habe die Tür zugeschlagen und…«
    Sabriel warf die Teetasse von sich und stürmte an Olwyn vorbei. Die Hälfte des Flures lag bereits hinter ihr, als sie das Porzellan zerbrechen und Olwyns bestürzten Aufschrei über die rüde Behandlung eines so teuren Stückes vernahm. Sabriel beachtete es nicht und rannte weiter zum Schlafsaal an der Westseite des Gebäudes. Im Laufen drückte sie auf die Lichtschalter. Als sie den Schlafsaal erreichte, erhob sich im Innern ein Geschrei, das zu einem schrillen, entsetzten Kreischen anschwoll. Im Saal befanden sich vierzig Mädchen, die meisten aus der ersten Klasse, alle unter elf Jahre alt. Sabriel holte tief Atem und blieb angespannt unter der Tür stehen, bereit, die Zauberformel zu sprechen. Noch ehe sie sich umsah, spürte sie die Anwesenheit einer tödlichen Gefahr.
    Der Schlafsaal war sehr lang und schmal mit einer niedrigen Decke und kleinen Fenstern. Betten und Spinde zogen sich zu beiden Seiten hin. Am hinteren Ende führte eine Tür zur Treppe, über die man auf den Westturm gelangte. Die Tür sollte stets von innen und außen zugesperrt sein, doch Schlösser widerstanden den Mächten des Alten Königreichs selten.
    Die Tür stand offen. Ein dunkler Schemen verharrte dort, als hätte jemand aus der Schwärze des Nachthimmels eine menschliche Gestalt geschnitten und dabei sorgfältig darauf geachtet, ein Sternenloses Stück zu verwenden. Es war eine Gestalt ohne erkennbare Gesichtszüge, die den Kopf von Seite zu Seite wandte, als wären ihre Sinneswahrnehmungen räumlich eng begrenzt. Sabriel bemerkte jedoch nicht, dass der Eindringling in einer vierfingrigen Hand einen ganz gewöhnlichen Sack trug, dessen grob gewebter Rupfen sich auffällig vom unwirklichen Fleisch abhob.
    Sabriels Hände bewegten sich in einer komplizierten Geste und zeichneten jene Chartersymbole, die Schlaf, Stille und Ruhe beschworen. Mit einer weit ausholenden Geste schloss sie beide Seiten des Schlafsaals mit ein und schrieb dann eines jener Hauptsymbole, die alles zusammenzogen. Sogleich hörten die Mädchen im Saal zu schreien auf und sanken zurück in die Betten.
    Der Kopf des Wesens verharrte nun bewegungslos. Sabriel wusste, dass es seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatte.
    Langsam hob es ein Bein, schwang es schwerfällig vorwärts und stellte es auf, ehe es das zweite Bein aufsetzte. Es war eine seltsame, rollende Vorwärtsbewegung, die ein gespenstisches,
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