Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
sich nicht, ließ das Blut fließen.
    Plötzlich wurde ihr klar, dass sie gar nicht gespürt hatte, wie Touchstone gestorben war.
    Sie blickte zu ihm. Der Speer war an seinem Panzerhemd geborsten. Kerrigor griff nach einem weiteren länglichen Holzstück – doch der Silberreifen war inzwischen bis über seine Schultern gerutscht und löste im Weitergleiten das Fleisch, so dass es aussah, als würde ein Apfelentkerner den Toten Geist aus dem zerfallenden Körper stechen.
    Kerrigor wehrte sich und schrie gellend, doch der Reif band seine Arme. Kerrigor hüpfte wild herum, warf sich hin und her, um sich zu befreien – doch dadurch löste sich nur weiteres Fleisch von seinem Körper ab, bis nichts mehr übrig war als eine rasende Säule Finsternis, die von einem Silberreifen zusammengehalten wurde.
    Dann brach die Säule in sich zusammen wie ein einstürzendes Haus und wurde zu einem Haufen wogender Schatten, gebannt vom Silberreifen, der wie ein kostbares Schmuckstück funkelte. Ein glimmendes rotes Auge blitzte in dem Silber, doch es war nur der Rubin, der mit dem Edelmetall gewachsen war.
    Auf dem Reifen befanden sich wieder Charterzeichen. Sabriel vermochte allerdings nicht sie zu lesen, sie konnte den Blick nicht darauf konzentrieren. Außerdem war es zu dunkel. Das Mondlicht schien verschwunden zu sein. Sie wusste jedoch, was sie jetzt tun musste. Saraneth – ihre Hand tastete zum Bandelier, doch die sechste Glocke war nicht da, ebenso wenig die siebente und dritte.
    Wie unvorsichtig von mir, dachte Sabriel. Aber ich muss das Binden vollenden! Ihre Hand fiel kurz auf Belgaer, und beinahe hätte sie sie Glocke gezogen, doch Belgaer würde Befreiung bringen… Schließlich ergriff sie Ranna und wimmerte schon bei dieser kleinen Bewegung vor Schmerz.
    Ranna war ungewöhnlich schwer für eine so kleine Glocke. Sabriel legte sie kurz auf ihre Brust und sammelte Kraft. Dann, auf dem Rücken liegend, von ihrem eigenen Schwert aufgespießt, läutete sie die Glocke.
    Ranna klang süß und schenkte sanften Trost, als sinke man in ein lange vermisstes Bett. Ihr Klang hallte durch die Aula und hinaus ins Freie, wo immer noch Männer gegen die Toten kämpften. Alle, die diese Glocke hörten, hielten inne und legten sich nieder. Die Schwerstverwundeten glitten sanft in den Tod und schlossen sich den Toten an, die Kerrigor gefolgt waren, während die weniger schwer Verwundeten in einen heilenden Schlaf fielen.
    Die Finsternis, die Kerrigor gewesen war, spaltete sich in zwei Halbkugeln, die von einem äquatorialen Reifen aus Silber gehalten wurden. Eine Hemisphäre war schwarz wie Kohle, die andere weiß wie Schnee.
    Allmählich schmolzen sie zu zwei deutlich erkennbaren Gestalten – zwei Katzen, die wie siamesische Zwillinge am Hals verbunden waren. Dann zersprang der Silberreifen in zwei Teile, ein Reifen um jeden Hals, und die Katzen waren getrennt. Die Reifen verloren ihre Leuchtkraft, veränderten langsam Farbe und Struktur, bis sie zu roten Lederhalsbändern geworden waren, jedes mit einem Glöckchen, einer Miniatur-Ranna.
    Zwei Katzen saßen Seite an Seite. Eine schwarz, eine weiß. Beide beugten sich vornüber, würgten und spien schließlich beide einen Silberring aus. Als die Ringe auf Sabriel zu rollten, gähnten die Tiere, kuschelten sich zusammen und schliefen ein.
    Touchstone beobachtete, wie die Ringe im Mondschein silberblitzend durch den Staub rollten. Sie trafen Sabriels Seite, doch sie hob sie nicht auf. Sie hatte beide Hände noch immer um Ranna liegen, die verstummt war und unterhalb ihres Busens ruhte. Oberhalb davon ragte das Schwert empor; Klinge und Parierstange warfen den Mondschatten eines Kreuzes auf Sabriels Gesicht.
    Eine Erinnerung aus seiner Kindheit schoss Touchstone durch den Kopf. Eine Stimme – die eines Kuriers – sprach zu seiner Mutter:
    »Majestät, wir bringen betrübliche Kunde. Abhorsen ist tot.«

     

Epilog
     
    Der Tod ist kälter als je zuvor, dachte Sabriel und fragte sich nach dem Grund, bis ihr klar wurde, dass sie immer noch lag, jetzt im Wasser, dessen Strömung sie davontrug. Einen Moment lang wehrte sie sich dagegen; dann entspannte sie sich.
    »Jedermann und alle Dinge müssen dereinst sterben…«, flüsterte sie. Die lebende Welt und ihre Belange schienen weit entfernt. Touchstone lebte, und das stimmte sie froh, sofern sie überhaupt etwas empfinden konnte. Kerrigor war besiegt, gefangen, wenn auch nicht wirklich tot. Ihre Arbeit war getan. Bald würde sie durch das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher