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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4
Autoren: Clive Barker
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lebenden Affen schienen die Person jedoch wiederzuerkennen: Sie ließen von ihren Paarungen ab und stimmten ein Willkommensgebrüll an.
    Regungslos stand Welles da und wartete den nächsten Schritt des Neuankömmlings ab.
    »Ich sterbe«, sagte Jerome.
    Damit hatte Welles nicht gerechnet. Jerome hatte er hier am allerwenigsten erwartet.
    »Ham Sie mich verstanden?« wollte der Mann wissen.
    Welles nickte. »Wir alle sterben, Jerome. Das Leben ist ein schleichendes Leiden, nicht mehr und nicht weniger. Aber eine solche Festbeleuchtung beim Abtreten, was?«
    »Sie wußten, daß es so kommen würde«, sagte Jerome. »Sie wußten, daß mich das Feuer auffressen würde.«
    »Nein«, kam die nüchterne Antwort. »Nein, wirklich nicht.«
    Jerome trat aus dem Türrahmen in das trübe Licht. Er bot ein Bild der Verwüstung: ein Flickwerk von einem Mann, Blut auf dem Leib, Feuer in den Augen. Aber Welles war nicht so töricht, der augenscheinlichen Verletzbarkeit dieser Vogelscheuche zu trauen. Der Wirkstoff in Jeromes Organismus hatte ihn zu übermenschlichen Taten befähigt: Welles hatte gesehen, wie die Dance mit ein paar lässigen Prankenhieben aufgerissen wurde. Takt war erforderlich.
    Jerome war zwar unzweifelhaft dem Tode nahe, jedoch noch immer überaus gefährlich.
    »Das lag nicht in meiner Absicht, Jerome«, sagte Welles, und versuchte dabei, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
    »Ich wünschte, in gewisser Hinsicht, ich könnte das Gegenteil behaupten. Aber so weitblickend war ich nicht. Es hat mich Zeit und Leid gekostet, die Zukunft klar vor mir zu sehen.«
    Der Brennende beobachtete ihn, mit aufmerksamem Blick.
    »Solche Feuer, Jerome, die aufs Anzünden warten.«
    »Weiß ich…« antwortete Jerome. »Glauben Sie mir… ich weiß Bescheid.«
    »Du und ich; wir sind das Ende der Welt.«
    Das elende Monster sann eine Zeitlang darüber nach und ruckte dann bedächtig. Welles stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus; die Sterbebett-Diplomatie funktionierte.
    Aber er durfte seine kostbare Zeit nicht mit Gerede vergeuden.
    Wenn Jerome hier war, dann war doch wohl die Obrigkeit auch nicht mehr weit, oder?
    »Ich hab’ hier was Dringendes zu erledigen, mein Freund«, sagte er ruhig. »Würdest du mich für unhöflich halten, wenn ich damit fortfahre?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, riegelte er einen weiteren Käfig auf und hievte den verurteilten Affen heraus, drehte dabei fachmännisch den Körper herum, um die Injektion zu erleichtern. Wenige Augenblicke lang zuckte das Tier in Welles’ Armen – und verendete. Welles machte die schrumpligen Affenfinger von seinem Hemd los, schleuderte die Leiche samt der entleerten Spritze auf die Werkbank und wandte sich dann mit der Ökonomie eines Scharfrichters seinem nächsten zur Hinrichtung bestimmten Opfer zu.
    »Weshalb?« fragte Jerome und starrte die offenen Augen des Tieres an.
    »Ein Akt der Barmherzigkeit«, antwortete Welles, und nahm dabei eine neue schußfertige Spritze in die Hand. »Du siehst ja, wie sie leiden.« Er streckte den Arm aus, um den nächsten Käfig zu entriegeln.
    »Nicht«, sagte Jerome.

    »Keine Zeit für Gefühle«, antwortete Welles. »Ich bitte dich: Schluß damit.«
    Gefühle, dachte Jerome, und erinnerte sich dunkel an die Songs im Radio, die zuerst das Feuer in ihm wiedererweckt hatten. Begriff Welles nicht, daß die Erfahrungsebenen von Herz und Kopf und Weichteilen unteilbar waren? Daß jede, auch noch so banale Gefühlsregung zu unentdeckten Regionen führen konnte? Er wollte das dem Doktor sagen, als Erklärung für all das, was er gesehen, und all das, was er geliebt hatte in diesen verzweifelten Stunden. Aber irgendwo zwischen Bewußtsein und Zunge stahlen sich die Erklärungen davon.
    Alles, was er herausbrachte, um das Mitgefühl auszudrücken, das er für die gesamte leidende Welt empfand, war: » Nicht « , als Welles den nächsten Käfig aufsperrte.
    Der Doktor ignorierte ihn und langte in die Maschendrahtzelle. Sie enthielt drei Tiere. Er packte das am leichtesten erreichbare und zerrte das protestierende Geschöpf aus der Umarmung seiner Gefährten. Ohne Zweifel wußte es, welches Los es erwartete; aufgeregte Kreischlaute signalisierten sein Entsetzen.
    Jerome konnte diese beiläufige Beseitigung nicht hinnehmen.
    Er setzte sich in Bewegung – die Wunde in seiner Seite eine Marter –, um die Abschlachtung zu verhindern. Welles, durch Jeromes Vorstoß abgelenkt, ließ seine sich windende Last fahren: Der
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