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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4
Autoren: Clive Barker
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Affe tollte über die Werkbankplatten davon. Als Welles ihm nachsetzte, um ihn wieder einzufangen, nutzten die Häftlinge im Käfig hinter ihm ihre Chance und schlüpften heraus.
    »Verdammt noch mal«, schrie Welles Jerome an, »siehst du nicht, daß wir keine Zeit haben? Verstehst du denn nicht?«
    Jerome verstand alles, und doch nichts. Die fieberhafte Erregung, die er und die Tiere teilten, verstand er; ihren Zweck, die Verwandlung der Welt, verstand er ebenfalls. Aber warum es so enden sollte – diese Wonne, diese Vision –, warum alles auf einen verdreckten Raum voller Rauch und Qual hinauslaufen sollte, auf Hinfälligkeit, auf Verzweiflung –
    das begriff er nicht. Und Welles ebensowenig, wie er jetzt klar erkannte, Welles, der der Urheber dieser Widersprüche war.
    Während der Doktor einen der entwischenden Affen zu ergreifen suchte, ging Jerome rasch zu den restlichen Käfigen hinüber und entriegelte sie alle: Hals über Kopf sprangen die Tiere in ihre Freiheit. Welles hingegen hatte mit dem Wiedereinfangen Erfolg gehabt und hielt den protestierenden Affen fest, war eben im Begriff, ihm das Allheilmittel zu verabreichen.
    Jerome stürzte auf ihn los. »Lassen Sie das«, schrie er.
    Welles drückte die Spritze in den Körper des Affen, aber ehe er den Injektionskolben herunterdrücken konnte, zog Jerome auch schon an seinem Handgelenk. Die Spritze spuckte ihr Gift in die Luft und fiel dann zu Boden. Der Affe, der sich aus der Umklammerung herauswand, folgte nach.
    Jerome riß Welles zu sich heran. » Lassen Sie das, hab’ ich gesagt«, keuchte er.
    Als Antwort rammte Welles die Faust in Jeromes verwundete Seite. Dem schossen Schmerzenstränen aus den Augen, aber er gab den Doktor nicht frei. So unangenehm der Reiz auch war, er konnte Jerome nicht davon abbringen, dieses schlagende Herz eng an sich zu pressen. Er umarmte Welles wie einen reuigen Sünder und hoffte, daß er sich von selbst entzünden könnte: daß der Traum vom brennenden Fleisch, den er erduldet hatte, jetzt wahr werden würde, um Macher und Gemachten in ein und derselben reinigenden Flamme zu verzehren. Aber sein Fleisch war nur Fleisch; sein Gebein nur Gebein. Was er an Wundern geschaut hatte, war ihm ganz allein offenbart worden, und jetzt hatte er keine Gelegenheit mehr, ihre Herrlichkeiten oder ihre Schrecken mitzuteilen. Was er geschaut hatte, würde mit ihm sterben, um (vielleicht) von irgendeinem künftigen Ich wiederentdeckt zu werden, nur um abermals vergessen und entdeckt zu werden. Wie die Geschichte von der Liebe, die das Radio erzählt hatte; das immer gleiche Glück – verloren und gefunden, gefunden und verloren. Er starrte Welles mit neuer, allmählich bewußt werdender Einsicht an, hörte dabei noch immer das Herz des Mannes verängstigt schlagen. Der Doktor irrte sich. Wenn er den Mann am Leben ließe, würde Welles seinen Irrtum schon noch einsehen. Sie waren nicht die Vorausahner des Paradieses auf Erden. Sie hatten beide nur geträumt.
    »Bring’ mich nicht um«, flehte Welles inständig. »Ich will nicht sterben.«
    Dann verrenn’ dich nur weiter, dachte Jerome und ließ den Mann los.
    Welles’ Verwirrung war offenkundig. Er konnte nicht glauben, daß seine Bitte um Leben erhört worden war. Bei jedem Schritt, den er machte, einen Hieb erwartend, wich er vor Jerome zurück; der kehrte dem Doktor einfach den Rücken und ging hinaus.
    Von unten kam ein Schrei, dann viele Schreie. Polizei, schätzte Welles. Vermutlich hatten sie den Körper des Beamten gefunden, der an der Tür Wache gestanden hatte. Nur noch Augenblicke, und sie würden die Treppe heraufkommen.
    Er hatte jetzt keine Zeit mehr, die Aufgaben, zu deren Durchführung er hierhergekommen war, zu Ende zu bringen.
    Er mußte weg sein, ehe sie aufkreuzten.
    Auf der unteren Etage sah Carnegie zu, wie die bewaffneten Beamten die Treppe hinauf verschwanden. Ein schwacher Brandgeruch lag in der Luft; er befürchtete das Schlimmste.
    Ich bin der Mann, der nach der Tat kommt, dachte er bei sich; fortwährend erscheine ich auf dem Schauplatz, wenn das Beste von der Handlung vorbei ist.

    So sehr er, geduldig wie ein treuer Hund, ans Warten gewöhnt war, diesmal konnte er seine unruhige Neugier nicht in Schach halten und tatenlos die anderen vorangehen lassen.
    Er ignorierte die Stimmen, die ihm rieten zu warten, und stieg die Treppe hinauf.
    Das Labor in der oberen Etage war leer, bis auf die Affen und Johannsons Leiche. Der Toxikologe lag mit dem Gesicht nach
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