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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4
Autoren: Clive Barker
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ganz egal, er würde alles vergewaltigen.
    Mit einemmal, ohne daß er darum gebeten hätte, lief die Menge auseinander, und er fand sich abseits der Hauptpassage in einer engen Straße. In gesteigerter Inbrunst ergoß sich Sonnenschein zwischen die Gebäude, Jerome wollte gerade umkehren und sich wieder der Menge anschließen, als er einen Duft und einen Anblick aufschnappte, die ihn weiterzogen. In geringer Entfernung standen auf der hitzegetränkten Straße drei junge Männer ohne Hemd mitten unter Stapeln von Obstkisten, von denen jede Dutzende Spankörbe voll Erdbeeren enthielt.
    Es gab dieses Jahr ein Überangebot von dem Obst, und in der unbarmherzigen Hitze hatten die Früchte großenteils begonnen weich zu werden und zu faulen. Das Arbeitertrio ging die Spankörbe durch, sonderte die schlechten Früchte von den guten und warf die verdorbenen Erdbeeren in den Rinnstein.
    Auf so engem Raum war der Geruch überwältigend: eine Süße von solcher Intensität, daß sie jeden anderen Eindringling als Jerome angeekelt hätte; dessen Sinne hatten indes alle Fähigkeit zu Ablehnung oder impulsivem Abscheu verloren.
    Die Welt war die Welt war die Welt; Freud’ und Leid würde er mit ihr teilen, wie in der Ehe. Er stand da und sah hingerissen dem Schauspiel zu; die schwitzenden Obstsortierer hell im herabströmenden Sonnenlicht, Hände, Arme und Torso mit scharlachrotem Saft bespritzt; die Luft durchschwirrt von jedem nektarsuchenden Insekt; die weggeworfenen Früchte im Rinnstein zu triefenden Hügeln angehäuft. Ganz von ihrer klebrigen Arbeit beansprucht, nahmen ihn die Sortierer zuerst nicht einmal wahr. Dann schaute einer der drei auf und beguckte sich amüsiert die sonderbare Person, die ihnen zusah.

    Das Grinsen auf seinem Gesicht erstarb, als er Jeromes Blick begegnete.
    »Was zum Teufel…«
    Jetzt schauten die anderen zwei von ihrer Arbeit auf.
    »Süß«, sagte Jerome. Er konnte ihre Herzen zittern hören.
    »Schaut euch den an«, sagte der jüngste der drei und deutete auf Jeromes Schamgegend. »Entblößt sich da, der Kacker.«
    Regungslos standen sie im Sonnenschein, er und sie, während Wespen die Früchte umschwärmten und in dem schmalen blauen Ausschnitt Sommerhimmel zwischen den Dächern Vögel ihre Bahn zogen. Jerome wünschte sich, daß der Augenblick nie vorüberginge; sein allzu nackter Kopf schmeckte hier das Paradies.
    Und dann zerbrach der Traum. Jerome spürte einen Schatten auf seinem Rücken. Einer der Sortierer ließ den Spankorb fallen, den er gerade durchsortierte; die verdorbenen Früchte brachen auf dem Schotter auseinander. Jerome runzelte die Stirn und machte eine halbe Drehung. Isaiah hatte die Straße gefunden; seine Waffe war aus Stahl und glänzte. Sie durchquerte den Raum zwischen ihm und Jerome in nur einer kurzen Sekunde. Jerome spürte einen Schmerz in seiner Seite, als das Messer in ihn hineinglitt.
    » Jesus « , sagte der junge Mann und rannte los; seine beiden Brüder, die nicht unbedingt Zeugen bei einer Verwundungsszene spielen wollten, zögerten nur Augenblicke länger, ehe sie ihm folgten.
    Jerome schrie unwillkürlich auf vor Schmerz, aber in dem lärmenden Marktgetriebe hörte ihn niemand. Isaiah zog die Klinge heraus; Hitze begleitete sie. Er wollte abermals zustoßen, aber Jerome war zu schnell für den Zerstörer; er rückte außer Reichweite und torkelte über die Straße. Der Möchtegernattentäter bekam Angst, daß Jeromes Schreie zuviel Aufmerksamkeit erregen würden, und setzte ihm rasch nach, um die Sache zu Ende zu bringen. Aber der Asphalt war glitschig von verfaultem Obst, und Isaiahs elegante Wildlederschuhe hatten weniger Halt als Jeromes nackte Füße.
    Der Abstand zwischen den beiden Männern vergrößerte sich bei jedem Schritt.
    »Nein, du Hund du«, sagte Isaiah, entschlossen, seinen Demütiger nicht entkommen zu lassen. Er stieß einen Turm Obstkisten um – Spankörbe purzelten zu Boden und streuten Jerome ihren Inhalt vor die Füße. Jerome zögerte, um das Bukett matschiger Früchte in sich aufzunehmen. Diese genüßliche Schwäche kostete ihn fast das Leben. Isaiah kam bis auf Armlänge heran, war schon im Begriff, den Mann abzuservieren. Jerome, dessen Organismus durch den Schmerzreiz bis an den Rand des Zerberstens angespannt war, sah zu, wie die Klinge es hautnah schaffte, ihm den Bauch aufzuschneiden. Innerlich beschwor er die Wunde herauf: der Unterleib aufgeschlitzt – die Hitze heraussprudelnd, um sich mit dem Erdbeerblut im
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