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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim
Autoren: Christian Mork
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die Mädchen über einen Zeitraum von mindestens sieben Wochen kleine, gleich bleibende Dosen des gerinnungshemmenden Rattengiftes Coumatetralyl zu sich genommen hatten. Wahrscheinlich war es in ihr Wasser gemischt worden und in den Fraß, den man ihnen als Nahrung vorgesetzt hatte. »Vereinfacht ausgedrückt«, erklärte der Gerichtsmediziner, »versagten nach und nach die lebenswichtigen Organe der Mädchen. Schnitte und Wunden, die ihnen zugefügt wurden, heilten nicht mehr. Die Jüngere starb an inneren Blutungen. Und beide wurden offenbar Nacht für Nacht an ihre Schlafplätze gekettet. Ihre Tante hat das Ganze sehr sorgfältig geplant.« Die Zeitungen und Desmonds Nachbarn und frühere Freunde nannten es einfach teuflisch, was es recht gut traf.
    Aber auch die Kommodenschublade bot leider keine Hinweise darauf, warum diese Tragödie geschehen war.
    Zu den sichergestellten Gegenständen gehörten mehrere versiegelte Plastikbeutel mit Klumpen schwarzer Erde. Die genaue Analyse ergab, dass sich darin außerdem noch ein Knopf, eine Damastserviette, eine zerknüllte Schachtel Marlboro Lights und eine benutzte 12-Kaliber-Patronenhülse befanden. Die einzige Verbindung zwischen diesen Gegenständen war die Tatsache, dass der Dreck, der an ihnen haftete, vom pH-Wert identisch war. Man fand außerdem teures Briefpapier mit passenden Umschlägen, von denen je ein Blatt und ein Umschlag fehlten. Aber die Forensiker konnten nicht feststellen, zu welchem Zweck. Vielleicht hatte Roisin ihn benutzt. Aber das führte wiederum nur zu der Frage: Wozu?
    Nach ein paar Tagen wurden die Bewohner des Viertels unruhig, und das autoritäre Gehabe der Cops ging ihnen allmählich auf die Nerven. Kinder forderten sich gegenseitig dazu heraus, die weißblaue GARDA-Absperrungen zu durchbrechen und sich eine Trophäe von den Wänden zu reißen. Diese Mutproben hörten auf, sobald das Haus abgeschlossen und still dalag und nun offiziell von Geistern bewohnt wurde. Ein Junge machte sich mit einer Jesusfigur aus Plastik davon, deren Heiligenschein von einer 40-Watt-Birne erleuchtet wurde. Ein anderer schaffte es bis zur Straßenecke, bis ihn ein Garda erwischte und ihn zwang, das in Gold gerahmte Porträt des einstmals so verehrten Premierministers Eamon Oe Valera zurückzugeben, dessen langes Gesicht sein Missfallen an der toten Frau auszudrücken schien, die ihn über ihren Kaminsims gehängt hatte.
    Der Polizei fand keine heiße Spur und bereitete sich darauf vor, den Fall abzuschließen.
    Doch dann verriet ihnen das Haus ganz von selbst noch ein Geheimnis mehr.
    Das geschah in Form einer Kratzspur an der Hintertür, die bisher übersehen worden war. Es sah aus, als habe jemand bei dem Versuch, das Haus zu verlassen, die Tür beinahe aus den Angeln gerissen. Auf dem Türgriff fand man einen Fingerabdruck, der zu keiner der drei toten Frauen passte. Sonst gab es im ganzen Haus keine anderen Abdrücke. Er gehörte also einer bisher unbekannten Person. Aber im Keller wurde ein drittes, schmutziges Bett gefunden und auf einem Abflussrohr noch einmal die gleichen Fingerabdrücke. Der unbekannte Gefangene im Keller hatte es geschafft, mit einer primitiven Säge das Abwasserrohr durchzusägen, und war höchstwahrscheinlich mit Handschellen an einem Handgelenk aus dem Haus geflüchtet. Die beiden Mädchen hatten einen Leidensgefährten gehabt.
    Und der- oder diejenige war bis vor kurzem bei ihnen gewesen und jetzt irgendwo da draußen, lebendig und bisher unentdeckt.
    Als man das letzte Dielenbrett gehoben und auch den letzten Kaffeelöffel inventarisiert hatte, ohne dass sich neue Hinweise ergeben hätten, wurde Strand Street Nummer eins schließlich gereinigt, abgesperrt und von der Stadt zum Verkauf angeboten. Die Vorstellung, dass sich im Haus noch eine unbekannte vierte Person befunden haben musste, ließ den Gardai zwar keine Ruhe, aber da es weder Hinweise noch lebende Familienmitglieder gab, die irgendeine Erklärung für die Tragödie gehabt hätten, legten sie den Fall ein paar Monate später stillschweigend zu den Akten. Auch die Presse wendete sich allmählich frischeren Mordfällen zu.
    In den Bars der Stadt wurde allerdings weiterhin eifrig an der Lösung des Falles gearbeitet.
    »Moira hatte sie nicht mehr alle«, lautete eine beliebte Theorie. »Die Mädchen waren ihr ein Dorn im Auge und sie hat sie aus Neid auf ihre Schönheit ermordet.« In einer anderen Version hatten die Mädchen vorgehabt, ihre Tante zu erpressen und wegen
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