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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim
Autoren: Christian Mork
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Niall Cleary«, sagte sie, küsste ihn auf die Wange und verließ das Pub. Als sie den linken Arm hob, um ihrer verbliebenen Familie zuzuwinken, bemerkte Niall das Handschellenarmband um ihr Handgelenk. Es hatte bestimmt sehr lange gedauert, die Kette durchzusägen. Einen Augenblick später knatterte der Vauxhall den Kai entlang.
    Nialls Finger wussten, was sich in dem Päckchen befand, das Aoife zurückgelassen hatte. Er wickelte den weißen Stoff auf und legte die letzte und einzige Belohnung frei, die er sich für seinen Glauben und seine Treue gewünscht hatte.
    Es war ein schlichtes schwarzes Notizbuch.
    Er lauschte der geheimen Musik, die den Bildern in seinem Kopf vorausging, bevor sie sich zu einer bestimmten Szene verdichteten. Sie stieg langsam in ihm auf und vermischte sich mit der Stimme des Kommentators und dem Piepsen des Video-Poker-Automaten.
    Er öffnete das Buch und blätterte die erste Seite um. Aoife hatte eine Widmung hineingeschrieben.
    Tagebuch von Aoife Jeanine Walsh. Mit den besten Wünschen für Niall, einen wahren Ritter in schimmernder Rüstung. Wir werden dich nie vergessen.
    Nein, er würde nicht vor Mr. Raichoudhury auf die Knie fallen, vielen Dank, dachte Niall, klappte das Buch zu und legte es in seine Tasche. Seine Finger kribbelten wieder und konnten es kaum erwarten, sich um einen weichen Bleistift zu legen und detailliert darzustellen, was geschah, wenn drei Frauen einen Wolf besiegten, der sich als Mann ausgab. Die Kunstakademie würde ihm wohl noch ein paar Mahnungen schicken müssen. Er würde all sein restliches Geld dem Vermieter geben und auf Aufschub hoffen. Denn seine Aufgabe war noch nicht vollendet. Der wichtigste Teil - die Geschichte zu erzählen - lag immer noch vor ihm.
    Für Storyboards würde er noch genug Zeit haben. Erst einmal musste ein außergewöhnliches Cover her. Niall überlegte, ob er eine Collage aus den Bildern aller Frauen zeichnen sollte, die Jim ermordet hatte. Er entschied sich dagegen. Zu morbide. Und es würde den Walsh-Schwestern nicht gerecht werden. Er verwarf auch seine zweite Idee, ein Panorama, das zeigte, wie die drei Jim am Strand erstachen, während die Möwen über ihnen Zeter und Mordio schrien.
    Dann stieg ein Bild in ihm auf, neben dem alle anderen verblassten.
    Dasselbe Bild, das er schon in jener ersten Nacht im Postamt, als er das Tagebuch gefunden hatte, vergeblich zu Papier bringen wollte.
    Es war ein Wolf, der seiner zerbrechlichen menschlichen Existenz entwachsen und zum wilden Raubtier geworden war. Er würde ihn mitten im Sprung einfangen, kurz bevor er seine Klauen in eine Frau schlug, die verzweifelt versuchte, in den dichten Wald zu fliehen. Denn in diesem Bild lag die gesamte Geschichte. Würde er sie lieben oder töten?
    Niall wusste es noch nicht. Aber jetzt war er zu ungeduldig, um mit dem Zeichnen zu warten, bis er zu Hause war. Auf dem Tisch lag eine Papierserviette neben seinem leeren Glas. Der Wolf jagte durch seine Finger und ließ sie voller Erwartung auf die Tischplatte trommeln.
    Er fand einen Bleistift und begann zu zeichnen.
    Eine Frau erschien auf dem Papier. Sie glich Roisin und war genauso gekleidet, wie er sich Prinzessin Aisling bei ihrer ersten Begegnung mit Euan vorstellte.
    Das dichte Gestrüpp hinter ihr bot keinen Schutz, denn der Wolf erschien bereits im Vordergrund. Zum ersten Mal hatte Niall ihn richtig getroffen. Das Fell war dick und verfilzt, sein Auge loderte wie eine Flamme hinter Glas. Würde die Liebe siegen oder der Tod?
    In diesem Zwiespalt würden sie bis in alle Ewigkeit verharren.
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