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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim
Autoren: Christian Mork
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meiner dritten Schwester.« Sie schüttelte den Kopf. »Die Kleine ist ein echter Desperado. Sie hat ihren untreuen Freund in Tyrone fast zu Tode geprügelt. Erinnert mich an Rosie.« Sie verstummte und sah das Buch in Nialls Händen an. »Ist das ... ?«
    »Nimm es«, sagte er und schob Roisins Tagebuch über die marmorne Tischplatte. »Ich will es nicht mehr.« Ihm war, als ächze der schwarze Leinenband unter der Berührung von Aoifes Fingern. Sie schaute wieder aus dem Fenster und lächelte versonnen. »Ich musste sie in Tante Moiras Haus zurücklassen, als ich wusste, dass sie tot sind«, sagte sie und umklammerte das Buch fester. »Verstehst du das?«
    »Alles, was ich darauf antworten würde, wäre eine Lüge«, sagte Niall. »Bevor ich etwas dazu sage, habe ich auch eine Frage an dich.«
    »Dann reden wir ja über dasselbe«, sagte sie, umfasste seine Handgelenke und lächelte wie ein Mensch, der um Vergebung bittet.
    »Der Grund, aus dem du Castletownbere und deine Schwestern nach der Sache mit Jim verlassen hast ... «, begann Niall.
    » ... Moment«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass du weißt, wovon ... «
    »Und dass du danach fast drei Jahre lang weggeblieben bist«, fuhr Niall unbeirrt fort, denn er wollte dieses letzte Geheimnis unbedingt loswerden. Er hatte dafür geblutet, Schläge und Drohungen kassiert, seinen Job verloren und so weiter. Das schwarze Tor öffnete sich ein letztes Mal und entließ drei quicklebendige Prinzessinnen über die Felder, bevor Wolf oder Zauberer sie zu fassen bekamen. »Es konnte nur einen Grund geben. Und aus diesem Grund bist du auch sofort geflohen, nachdem du deine Schwestern oben tot gefunden hast, stimmt's? Du musstest etwas beschützen, haben deine Schwestern geschrieben. Es vor neugierigen Blicken schützen. Vor dem Urteil der Welt.«
    Aoife sagte zuerst nichts. Dann bedeutete sie Niall, aufzustehen und mit ihr ans Fenster zu treten.
    »Wo sind ... ?«, fragte er, aber er gehorchte.
    Draußen spazierten Leute auf dem Heimweg vorbei, und ein paar Taxifahrer drückten ihre Zigaretten aus und traten die nächsten Fuhren an. Er wollte Aoife gerade fragen, was es da zu sehen gebe, obwohl er es sich denken konnte. Dann sah er, was sie meinte.
    Ein klappriger brauner Vauxhall Royale parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
    Vom Rücksitz winkte eine Kinderhand Aoife zu.
    Niall sah genauer hin. Es war ein kleines Mädchen, dessen Gesicht beinahe hinter einer Kaskade nachtschwarzer Locken verschwand. Das Kind konnte nicht viel älter als drei Jahre sein. Neben ihm saß jemand in schwarzer Lederjacke und grinste Niall an. Er war sprachlos. Auch ohne Helm erkannte er sie sofort, die Raserin auf dem schwarzen Motorrad. Ja, ein echter Desperado.
    »Meine Tochter wird niemals erfahren, dass sie von einem Wolf gezeugt wurde«, sagte Aoife. »Und wenn ich aus dem Pub gehe, wirst du mich nie wiedersehen. Bumm. Verschwunden. Wie im Märchen. Verstehst du jetzt?«
    »Ja«, sagte Niall, holte tief Luft und lächelte. »Ja, ich verstehe es.«
    Aoife steckte das Buch ein und wandte sich in Richtung Tür.
    Dort lehnten sich gerade zwei Gardai herein und fragten den Barkeeper etwas, das Niall nicht hören konnte. Die blonde Fee sah Niall an. Na los, Junge, das ist deine Chance, schienen ihre Augen zu sagen. Sei ein Held. Steh in der Zeitung. Als sie sah, dass er nicht anbiss, drehte sie sich um und kam zurück.
    »Woher stammst du, edler Ritter?«, fragte sie ihn und lächelte herzlicher.
    »Aus einer Burg tief im Wald«, antwortete er. »Wo alle Wölfe längst gestorben sind.«
    »Klingt wunderbar«, sagte Aoife. Sie zögerte. »Sag niemandem, wie man dorthin findet.« Die Polizisten hinter ihr schlurften wieder nach draußen. Sie nahm etwas aus ihrer Tasche und reichte es Niall. Der Gegenstand war in die gleiche Art Serviette gewickelt, in der das Messer gewesen war. Er wollte es gerade auspacken, da hielt sie ihn zurück.
    »Warte, bis ich weg bin.« Sie nickte in Richtung des Päckchens. »Ich war schon oft kurz davor, es in den Fluss zu werfen. Aber ich dachte, wenn ich das tue, werden meine Schwestern und ich für alle Zeiten vergessen bleiben. Deshalb vertraue ich es dir an, und nur dir allein. Ich weiß, dass du es verstehen wirst. Und wenn du genug gesehen hast, erzähl deine Geschichte. Ich habe gehört, du seist Zeichner. Also zeichne etwas Schönes.«
    »Es heißt Graphic Artist«, sagte Niall, der einen Kloß im Hals hatte.
    »Viel Glück,
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