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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim
Autoren: Christian Mork
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kopfüber in das größte Abenteuer seines Lebens katapultieren sollte, hätte die Geschichte vielleicht bereits hier ein Ende gefunden.
    Aber so begann das Geheimnis der Walsh-Schwestern allmählich, Formen anzunehmen.
    Ein phantasievoller Mensch, der in dieser Nacht am Friedhof vorbeigelaufen wäre, hätte vielleicht gesehen, wie sich die Geister der Mädchen aus ihren billigen, staatlich finanzierten Särgen erhoben, zum Kundenfenster des Postamtes schwebten und dort ungeduldig ans Glas klopften. Denn sie hatten noch etwas zu erledigen.
    Der arme Desmond war der Lösung des Rätsels viel näher gewesen, als er vermutet hatte.
    Und selbst im Tode ließen Fiona und Roisin nicht locker.

    ZWISCHENSPIEL
    EMPFÄNGER UNBEKANNT

II.
    Niall hörte die leisen Spukgeräusche vor dem Fenster der Sortierabteilung des Postamtes nicht. Nicht, weil er einer guten Geistergeschichte abgeneigt gewesen wäre oder generell Geräusche aus der Dunkelheit missachtet hätte, ganz im Gegenteil.
    Nein, es lag daran, dass er seinen Wolf wieder einmal total verhunzt hatte. Und das wusste er schon, bevor er es aufgab, seine bernsteinfarbenen Augen zu kolorieren.
    »Ach, Bockmist«, stöhnte er und betrachtete die fünfte Zeichnung, die er an diesem Abend versaut hatte. Wie war das möglich? Katzen zeichnete er doch richtig gut, das hatte sogar der alte Professor Vassiltschikoff an der Kunsthochschule zugeben müssen. Leoparden und Pumas sprangen kraftvoll in lebendigen Farben über seine Skizzen und drangen mühelos aus ihrer flachen, zweidimensionalen Welt in die dritte Dimension ein, für die jeder Comicfreak lebte. Aber Mitglieder der Hundefamilie wollten ihm nie so recht gelingen. Jedes Mal, wenn Niall den Kopf beendet hatte, sich zu den muskulösen Hinterläufen vorarbeitete und das silbergraue Fell hinzufügte, glaubte er, diesmal werde er es vielleicht schaffen, die Ausstrahlung reiner, tödlicher Bedrohung dieses Tieres zu erzeugen. Aber wenn er beim Schwanz angelangt war, sah das Ergebnis mit erstaunlicher Regelmäßigkeit aus wie ein verfetteter Hund oder ein Fuchs mit Arthritis.
    Wenn er am Ball blieb, würde er es vielleicht sogar bis zum Clean-up-Artist oder Hintergrundillustrator für die Comicautoren bringen, die er bewunderte, zum Beispiel den göttlichen amerikanischen Zeichner Todd Sayles, dessen bahnbrechende Serie »Space Colonies« er als Junge in den Achtzigerjahren gelesen hatte. Darin ging es um die Abenteuer des schwcr bewaffneten intergalaktischen Kopfgeldjägers Stash Brown und seines sprechenden Affen Pickles. Gemeinsam kämpften sie gcgen unzählige, mörderische Alien-Mutanten im westlichen Ausläufer des Sternensystems Alpha-Centauri. Aber wem mache ich hier was vor, dachte Niall. Er musste sich eingestehen, dass er höchstens würdig war, Mr. Sayles die Schuhe zu putzen. Oder seinem neuesten Protege Jeff Alexander, der gerade die vierteilige Westernserie »Six-guns to Yuma« gezeichnet und koloriert und mit dieser klassischen »Diese-Stadt-ist-nicht-groß-genug-für-uns-beide-Fremder«-Revolverhelden-Saga Jungs in Irland und der ganzen Welt glänzende Augen beschert hatte.
    Niall betrachtete seinen erbärmlichen, harmlosen Wolf noch einmal und wusste mit grausamer Klarheit, dass er es nicht einmal ins Sekretariat dieser beiden Männer schaffen würde. Er hatte versucht, das Cover für einen mittelalterlich inspirierten Fantasycomic zu zeichnen, und einen ganzen Abend, seit er mit der Arbeit fertig war, Burgfriede gezeichnet. Burgen mit allem Drum und Dran, mit bröckelnden Mauern, mit giftgrünem Moos überzogene Baumstümpfe und unheimliche Kreaturen, die durch die untergegangene Welt eines fernen Irlands streiften, das es so überhaupt nie gegeben hatte. Die Raben, die links außen über dem unheimlichen Galgen kreisten, waren ihm gut gelungen. Ihre roten Schnäbel waren erwartungsvoll aufgerissen, und es sah tatsächlich so aus, als würden sie im nächsten Augenblick zum Sturzflug ansetzen und ein Stück Fleisch aus dem verrottenden Sünder reißen, der unter ihnen baumelte. Im Hintergrund des Bildes waren Ritter zu sehen, die gerade von der Jagd zurückkehrten. Auf ihren behandschuhten Fäusten thronten Jagdfalken; sie wirkten beinahe majestätisch. Sogar die holde Jungfrau, die auf einer Lichtung kauerte, war Niall zumindest teilweise geglückt. Ihr nachtschwarzes Haar fiel ihr in das milchweiße Gesicht, und sie floh immer tiefer in die schützende Dunkelheit der dichten Zweige am Rand der Lichtung.
    Und
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