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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim
Autoren: Christian Mork
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ihres Vermögens zu töten, aber die hatte den Spieß einfach umgedreht. Dagegen sprach, dass man im Haus keinerlei Geld gefunden hatte. »Was für eine Verschwendung«, seufzten die Nachbarn, und damit hatten sie recht, was auch immer die Wahrheit sein mochte. »Der mysteriöse Gefangene war Moiras Liebhaber. Er hat alle umgebracht und floh dann vor dem Arm des Gesetzes«, war eine besonders phantasievolle Idee. Aber alle Theorien hielten nur so lange vor, wie es dauerte, sie zu äußern. Man vergaß sie sofort wieder.
    »Was hier passiert ist, hat woanders begonnen«, sagte ein Stammgast in Gibney's eines Abends schließlich, nachdem er ein Halfpint Stout getrunken und sich eine Menge dummen Klatsch von Menschen angehört hatte, die mehr Alkohol als gesunden Menschenverstand im Blut hatten. »Für ein solches Verbrechen muss man seinen Hass jahrelang nähren.«
    Wenn die Jungs in Blau, die auf der Wache ihren Kaffee tranken, ihn in diesem Augenblick gehört und richtig geschaltet hätten, wäre der Fall vielleicht bald darauf geklärt worden. Aber verstanden hätten sie trotzdem nichts. Denn die Geschichte, die die drei Frauen in Moiras Haus beinahe mit ins Grab genommen hätten, hatte zwar tatsächlich anderswo begonnen, und zwar in einer kleinen Stadt in West Cork. Aber die Kraft, die hinter all dem steckte, war sehr viel mächtiger und leichter entflammbar als Hass.
    Die Macht, die Moira und ihre Nichten in die entlegenste Ecke des Friedhofs hinter der St. Andrews Church gebracht hatte, war Liebe gewesen.
    Liebe, die heißer brennt als ein Hochofen.
    Bei dem bescheidenen kleinen Begräbnis, das vom Sozialamt in der folgenden Woche ausgerichtet und bezahlt wurde, erschienen weder Verwandte noch Freunde, um den Walsh-Schwestern und ihrer mörderischen Tante die letzte Ehre zu erweisen. Auf Wunsch des Bestattungsunternehmers lag Moiras Grab nicht direkt neben den Gräbern der Schwestern, »weil ich verdammt sein will, wenn diese grässliche Frau so nah bei diesen armen Kindern liegt, dass sie sie berühren könnte«. Als wollte Gott die jungen Mädchen verspotten, hatte er die grauen Schleier gelüftet und ließ nun helle Sonnenstrahlen durch einen leichten Nieselregen scheinen. Der Regenbogen war zwar nicht spektakulär, aber doch so schön, dass der einzige Trauergast so laut zu weinen begann, dass sich die Besucher einer Einsegnung zwei Gräber weiter davon gestört fühlten.
    Desmond war in diesem einen Monat um zehn Jahre gealtert. Seit dem Tag, an dem die drei Walshes in Krankenwägen weggebracht worden waren, hatte man ihn nicht mehr in der Stadt gesehen. Das lag daran, dass er, als er in seine kalte, winzige Wohnung zurückkehrte, zuallererst seine Uniform auszog und sie verbrannte. Tage wurden zu Wochen, und die seltenen Platten von Jelly Roll Morton, deren Klänge früher wie goldene Perlen von seiner alten Anlage unter seiner Tür hervorgequollen waren, verstummten. Die Nachbarn glaubten, stattdessen leises Weinen zu hören. Kinder versuchten, in seine Fenster zu spähen und einen Blick auf den schrulligen Alten zu erhaschen. Ein paar Mal sahen sie das unordentliche Haar über dem fahlen Gesicht. »Freak!«, flüsterten sie einander zu, warfen mit Steinen nach seiner Eingangstür und rannten lachend nach Hause.
    Ihre Eltern wussten natürlich davon, tolerierten diesen kleinen Exorzismus aber stillschweigend. Hauptsache, man gab ihnen nicht die Schuld an dem, was passiert war. Und außerdem schien es zu funktionieren: Eine nette, ahnungslose polnische Familie sollte bald in Nummer eins einziehen und es wieder zu einem ganz normalen Haus im Viertel machen.
    Desmond trug einen glänzenden schwarzen Anzug, dessen Ellbogen und Knie so abgewetzt waren wie bei einem Kellner in einer schäbigen Cafeteria. Er zitterte, als der Priester die Sterbesakramente verlas. Als Father Flynn bei »Du bist gebenedeit unter den Frauen« ankam, musste Desmond sich beide Hände vor den Mund halten. Die rußfarbenen Dächer der Häuser am Fuß des Kirchenhügels schimmerten glitschig vom Regen. Desmond blieb noch so lange bei den Gräbern stehen, bis sie zugeschüttet und markiert worden waren. Er stand immer noch da, als es wie aus Eimern zu schütten begann.
    Auf dem Heimweg zu seiner Wohnung nickte er ein paar Kindern auf der Straße zu. Danach wurde er nie mehr gesehen.
    Wäre nicht ein anderer Postbote namens Niall ebenfalls seiner Neugier gefolgt, die diesen armen Jungen aus seiner eintönigen Existenz reißen und ihn
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