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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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amerikanische Bürgerkrieg schien ihnen im Vergleich zum zweiten ritterlich und kultiviert.
    Nachdem die Herzen meiner Ahnen so lange so hart und heiß geschlagen hatten, sehnten sie sich nun nach Ruhe. Sie wollten wissen, was Gelassenheit und Stabilität ist. Sie wollten Schönheit kennenlernen.
    Also entschloss sich mein Volk dazu, sie zu erschaffen.
    Es folgte eine Zeit des Friedens. Der Handel florierte, die Technologie entwickelte sich und war finanziell erschwinglich. Schnell entfaltete sich eine Form von Kultur und Tradition, die noch bis heute fortbesteht.
    Und dann kamen die Punks.
    Zuerst hatten sie viele Stimmen, aber keinen Namen. Tatsächlich lehnten sie es ab, sich auf eine Bezeichnung festzulegen und zwangen so ihre Feinde dazu, sie zu benennen. Ich persönlich finde ja »Punks« nicht gerade originell, aber meine Vorfahren hielten diesen Ausdruck wohl für passend.
    Die Punk-Bewegung lehnte die neue Adelsform ab, die sich langsam aus unserer strikten sozialen Ordnung erhob. Für sie konnte kein Titel einen Menschen über einen anderen erheben. Während die Städte wuchsen, verlangten die Punks, dass die politische Macht weiterhin in den ländlichen Kleinstädten und Dörfern ausgeübt werden sollte, was für sie gleichbedeutend damit war, sie in den Händen »des Volkes« zu belassen. Sie wetterten gegen den sich immer weiter ausbreitenden Gebrauch von Computern in unserer Gesellschaft und begründeten ihre Ablehnung damit, dass jede Form der Abhängigkeit von »denkenden Maschinen« unsere Nation intellektuell verweichliche. Sie spuckten auf die Güter, die unsere Fabriken in Massenproduktion herstellten, und priesen die individuelle Handwerkskunst, deren Erzeugnisse durch ehrliche Handarbeit geschaffen wurden.
    Was das Fass für sie aber schließlich endgültig zum Überlaufen brachte, war die Wiedergeburt der Holografietechnologie. Jeremiah Reed, der Mann, der später ihr Anführer werden sollte, nannte sie »die schöne Lüge, die Barden und den Steinmetzen gleichermaßen das echte Brot aus dem Mund stehlen wird«.
    In ihren Augen wiederholte unsere Gesellschaft all jene Fehler, die frühere Gesellschaften begangen hatten, indem sie eine über- und eine untergeordnete Klasse schuf, den Minderprivilegierten weniger Rechte einräumte und seichter Bequemlichkeit und Verschwendungssucht hinterherjagte.
    Die Bewegung wuchs. Die Punks steckten Fabriken an, brannten Häuser von Politikern nieder und gingen auf die Straße. All dies gipfelte schließlich im sogenannten »Reed-Massaker«. Damals stürmten etwa einhundert Aufständische eine Hemdenfabrik und zerstörten die computergesteuerten Maschinen. Das neuviktorianische Militär nahm sie unter Beschuss und die folgenden drei Tage wurden von gewaltvollen zivilen Aufständen beherrscht, während derer man unsere Gebiete von Punks säuberte. Sie wurden nach Süden getrieben, um dort zu sterben oder aber ihre eigene armselige Zivilisation zu gründen – je nachdem, was zuerst kommen würde.
    Widerstandslos gingen die Punks jedoch nicht. Bis heute wird entlang der Grenzen gekämpft. Der einzige Grund dafür, dass wir sie nicht vollständig ausgerottet haben, ist der, dass sie irgendwo noch immer unsere Brüder sind. Unser eigen Fleisch und Blut. »Dies und die Tatsache« – wie Salvez mir stets erklärte –, »dass wir ihnen zehn zu eins überlegen sind und es einfach billiger ist, sie nur nach und nach zu töten. Außerdem lässt uns das vor den anderen Stämmen besser dastehen.«
    Ende.
    Ich schrieb meinen Aufsatz ins Reine und schickte ihn via Funknetz an meine Lehrerin. Als ich auf den »Senden«-Knopf drückte, sprangen die Zeiger der kleinen Taschenuhr, die in einer Ecke des Bildschirms leuchtete, auf Punkt zwölf. Ich hatte die Abgabefrist auf die Minute genau eingehalten. Zufrieden schob ich die Hand in die Tasche meines schwarzen Wollmantels, fischte einen Keks aus seiner Wachspapierverpackung und steckte ihn mir in den Mund. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Zeitlose Werte.
    Dann griff ich nach dem Kabinenschirm der Kutsche, löste ihn aus seiner Halterung und nahm ihn auf den Schoß. Ich stellte den Ton ab, bevor ich mich durch die Beiträge scrollte. Ich hatte mich beherrscht, solange Pamela noch wach war. Ich wusste, dass ihr das eventuell dazugehörige Filmmaterial nicht gefallen würde. Ihr wurde übel, wenn sie Blut sah. Einige der anderen Sender zeigten spezielle Nachrichtenprogramme für Damen, die von sämtlichem »taktlosen«
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