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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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beharrlich versuche, ihnen das abzugewöhnen.
    Was mich am meisten stört, ist die Tatsache, dass mein Gesicht nicht zu einem Mädchen passt, das Klassenbeste im Zielschießen ist und das Kriegskunst und Geschichte studiert statt Rocksaumlängen. Dieses Gesicht passt nicht zu einem Mädchen, das sich durchsetzen kann, das beinahe alle ihre Beschützer verloren hat und sich keine neuen wünscht – das einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte, um, so gut es eben geht, mit den Dingen fertigzuwerden.
    Aber ein anderes habe ich nun mal nicht.
    Tante Gene liebte Spiegel und sie mochte diesen speziellen Teil der Ausstattung des V -Modells. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie nicht ganz richtig im Kopf war.
    Um mich nicht weiter mit ihr beschäftigen zu müssen, ließ ich meinen Kopf auf Pamelas Schulter sinken und versuchte nach Kräften, ebenfalls einzuschlafen.

    Ich träumte von ihm.
    Wann immer ich von meinem Vater träume, sehe ich jenen schrecklichen, lauten Tag vor mir, an dem sein Leben endete – jenen Tag, an dem nur noch ein paar Hundert qualvoller Atemzüge zwischen ihm und dem Tod lagen. Damals überzogen unnatürlich scharf hervortretende Venen sein Gesicht wie ein Spinnennetz und seine Lippen waren blau. Wann immer ich ihm nahe kam, wich er vor mir zurück.
    Also blieb ich ihm nahe. Ich lag neben ihm, wenn er schlief, ich hielt hartnäckig seine Hand, wenn er sprach. Ich hätte ihn so fest ich nur konnte an mich gedrückt, doch es waren stets auch einige seiner Berufskollegen oder Ärzte im Raum und Tante Gene bestand auf einem Mindestmaß an Schicklichkeit. Der einzige Mensch, dessen Anwesenheit ich ertrug, war Horatio Salvez, der Forschungsassistent meines Vaters und mein inoffizieller Tutor.
    Als ich neun Jahre alt war, verloren mein Vater und ich meine Mutter. Damals hatte er mir beigestanden und mich durch diesen ersten Kontakt mit echter Trauer geführt. Ohne ihn hätte ich es nicht geschafft. Er hatte mich weinen und toben lassen. Sogar meine kindlichen Blasphemien hatte er toleriert und geschwiegen, während ich Gott verfluchte und in dem Versuch, alles um mich herum dazu zu zwingen, meinen Schmerz zu teilen, meine Porzellanpuppen zerschmetterte.
    Jetzt musste ich ihm beistehen. Wäre damals der Tod in jenem Raum erschienen, um mich wählen zu lassen, ich wäre diesen Weg für ihn gegangen.
    Es war stets still im Krankenraum, der eigentlich sein Arbeitszimmer war. Man hatte ihm ein Bett hier hereingestellt, als er die Stufen zu seinem Schlafzimmer nicht mehr bewältigen konnte. Der Raum war dunkel und maskulin, die Wände bestanden aus gebeiztem Holz und waren über und über mit Schnitzereien und Vergoldungen versehen. Menschen streiften hindurch, sie bewegten sich leise wie Mönche auf ihrem stillen Klostergelände.
    An jenem Tag war ich unaufgefordert auf Zehenspitzen hinausgeschlichen, um mir frische Kleider anzuziehen. Auf dem Rückweg traf ich auf Horatio, der mir sagte, dass mein Vater im Sterben liege. Natürlich fand er andere Worte dafür. Horatio war ein magerer Mann, er trug einen Bart, hatte sanfte Gesichtszüge und eine brüchige Stimme – und heute war sie brüchiger denn je.
    »Ich glaube, er wird uns sehr bald verlassen, Miss Dearly.«
    Ich rannte zurück zu seinem Krankenzimmer, das Klappern meiner Schritte auf dem Holzboden hallte im Korridor wider. Seine Mitarbeiter öffneten mir die Tür, sobald ich sie erreichte. Ich eilte zum seidenbezogenen Bett meines Vaters und suchte in den Schatten nach seinem Gesicht. Es war so tiefviolett wie ein dunkler Bluterguss. Bei diesem Anblick kämpfte meine Liebe für ihn mit gewöhnlicher, menschlicher Abscheu.
    »Papa?«
    Als er seine von Gelbsucht gezeichneten Augen öffnete, traten Tränen in die meinen. Ich beugte mich hinab, um seine Wange zu küssen. Matt versuchte er, mich zurückzustoßen.
    »Bitte nicht«, flüsterte ich und konnte das Weinen nicht länger zurückhalten. Ich hatte meine ganze Willenskraft aufgebracht, um ihn nicht mit meinen Tränen zu belasten. Ich hatte mich so angestrengt, stark zu sein, seit er mit einer seltenen Krankheit von seiner letzten Reise gen Süden heimgekehrt war – doch nun hatte ich nicht mehr die Kraft zu kämpfen. » Hör auf . Hör auf, mich wegzustoßen. Du hast selbst gesagt, dass es nicht ansteckend ist – und wenn doch, dann wäre es mir egal . Ich liebe dich … ich liebe dich.«
    Ich küsste ihn, wieder und wieder und er ließ es zu. Dann nahm er mich in seine mit Schläuchen gespickten
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