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Knochenfunde

Knochenfunde

Titel: Knochenfunde
Autoren: Iris Johansen
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Eins

    Sarah Bayou, Louisiana
    1.05 Uhr
    4. Oktober

    Das Flachboot glitt langsam durch den Sumpf.
    Zu langsam, dachte Jules Hebert angespannt. Er hatte sich entschieden, statt eines Motorboots ein Flachboot zu nehmen, weil es zu dieser nächtlichen Stunde weniger auffällig war. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass er die Nerven verlieren würde.
    Ruhig bleiben. Die Kirche lag gleich vor ihnen.
    »Es wird alles gut gehen, Jules«, raunte Etienne, während er weiterruderte. »Du machst dir zu viele Gedanken.«
    Und mein Bruder Etienne macht sich zu wenig Gedanken, dachte Jules verzweifelt. Schon als sie Kinder waren, war Jules immer der Ernste gewesen, derjenige, der die Verantwortung übernahm, während Etienne mit beneidenswerter Sorglosigkeit durchs Leben ging.
    »Hast du dafür gesorgt, dass die Männer uns an der Kirche erwarten?«
    »Klar.«
    »Und du hast ihnen nichts erzählt?«
    »Nur dass sie für ihre Arbeit gut bezahlt werden. Und das Motorboot, mit dem sie herkommen sollen, habe ich zur vereinbarten Stelle gebracht.«
    »Gut.«
    »Es wird alles glatt laufen.« Etienne lächelte. »Ich verspreche dir, Jules. Hab ich dich schon mal enttäuscht?«
    Jedenfalls nicht absichtlich. Dafür liebten die Brüder sich zu sehr.
    »War nicht so gemeint, kleiner Bruder. Wollte mich nur vergewissern.« Jules hielt den Atem an, als sie um die Biegung kamen und er die alte, steinerne Kirche sah, die vor ihnen im fahlen Mondlicht aufragte. Sie war seit zehn Jahren verwaist, und es roch nach Feuchtigkeit und Verfall. Jules’ Blick wanderte zu den wenigen, verstreut liegenden Plantagenhäusern auf beiden Seiten des Sumpfes.
    Niemand zu sehen. Kein Lebenszeichen.
    »Ich hab’s dir ja gesagt«, meinte Etienne. »Das Glück ist auf unserer Seite. Wie sollte es auch anders sein? Das Glück ist immer mit den Gerechten.«
    Jules hatte die Erfahrung zwar etwas anderes gelehrt, aber er wollte sich nicht mit seinem Bruder streiten. Nicht heute Nacht.
    Als sie anlegten, sprang Jules auf den Steg, und die vier Männer, die Etienne angeheuert hatte, stiegen ins Boot.
    »Seht euch vor«, sagte Jules. »Lasst ihn um Himmels willen  nicht fallen.«
    »Ich helfe ihnen.« Etienne sprang auf. »Gott, ist der schwer.« Er stemmte seine kräftige Schulter unter die Last. »Bei drei.«
    Vorsichtig hoben sie den riesigen schwarzen Sarg auf den Steg.

Haus am See
    Atlanta, Georgia

    Sarg.
    Eve Duncan fuhr aus dem Schlaf. Ihr Herz raste.
    »Was ist los?«, fragte Joe Quinn schläfrig. »Stimmt was nicht?«
    »Alles in Ordnung.« Eve schwang ihre Beine aus dem Bett. »Nur ein schlechter Traum. Ich hole mir ein Glas Wasser.« Sie ging ins Badezimmer. »Schlaf ruhig weiter.«
    Herrgott, sie zitterte ja regelrecht. Wie konnte sie sich nur so anstellen? Sie klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, trank einen Schluck und ging zurück ins Schlafzimmer.
    Die Lampe auf ihrem Nachttisch brannte, und Joe saß aufrecht im Bett. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst weiterschlafen.«
    »Ich will nicht schlafen. Komm her.«
    Sie legte sich in seine Arme und kuschelte sich an ihn. Sicherheit.
    Liebe. Joe. »Möchtest du mit mir schlafen?«
    »Keine schlechte Idee. Vielleicht später. Jetzt will ich erst mal von deinem Alptraum hören.«
    »Jeder träumt mal schlecht, Joe. Das ist normal, es passiert jedem mal.«
    »Aber du hast schon lange nicht mehr schlecht geträumt. Ich
    dachte, deine Alpträume hätten aufgehört.« Er drückte sie fester an sich. »Ich möchte, dass sie aufhören.«
    Das wusste sie, und sie wusste auch, dass er alles tat, um ihr die Sicherheit und Geborgenheit zu geben, die ihren Alpträumen ein Ende setzen würden. Aber Joe müsste eigentlich wissen, dass sie nie ganz verschwinden würden. »Gib einfach Ruhe und schlaf.«
    »Hatte der Traum mit Bonnie zu tun?«
    »Nein.« Eve spürte, wie sich ihr schlechtes Gewissen regte. Irgendwann würde sie ihm sagen müssen, warum die Träume von
    Bonnie sie nicht mehr ängstigten. Aber noch nicht. Obwohl sie jetzt seit einem Jahr zusammenlebten, brachte sie es noch nicht fertig.
    Irgendwann.
    »War es der neue Schädel? Du arbeitest so hart daran. Vielleicht überforderst du dich?«
    »Ich bin fast fertig. Es ist Carmelita Sanchez, Joe. In ein paar Tagen bin ich so weit, dann kann ich die Eltern informieren.« Dann wäre der Fall abgeschlossen, und vielleicht konnten sie dann ihren Frieden finden. »Und du weißt doch, dass meine Arbeit mich immer sehr befriedigt. Sie verursacht bestimmt
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