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Die Nacht des schwarzen Zaubers

Die Nacht des schwarzen Zaubers

Titel: Die Nacht des schwarzen Zaubers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    Es war ein herrlicher Tag, ein heißer Sonntag im Sommer, mit einer blanken Sonne am wolkenlosen Himmel. Das Wasser des Sees schimmerte bläulichgolden, und wo die leichten Wellen sich an den Steinen brachen, glitzerten die hochsprühenden Tropfen wie kleine geschliffene Kristalle.
    Sie waren schon früh hinausgefahren und machten jetzt das Segelboot klar, rollten die Persenning auf, lüfteten die Kajüten und kontrollierten das Tauwerk. »Ein Wetterchen!« sagte Alexander Baumann und streckte die Glieder. Er war ein mittelgroßer, kräftiger Mann mit angegrauten Schläfen, und wie er so neben seiner Frau Marga stand, die stämmigen Beine auf die Holzplanken seines Segelbootes gestemmt, sah ihm niemand seine neunundvierzig Jahre an. Er hatte den Arm um Margas Schulter gelegt und blickte in den unendlichen blauen Himmel. Der Druck seiner Hand war fest und liebevoll. »Ein Wetter für Sonntagskinder! Möchtest du eins?« sagte er vergnügt und liebkoste zärtlich Margas Nacken.
    Sie lächelte nur und legte ihren Kopf an seine Brust. »Alex, sind wir darüber nicht hinaus?« antwortete sie nach einer Weile.
    »Meinst du das im Ernst?« Sein Lachen flog hinüber zu den Kindern. Claudia, die neunzehnjährige Tochter, trug eine Kühltasche mit Eis über den kleinen Laufsteg; Volker, vierzehn Jahre alt und hochaufgeschossen wie eine zu eifrig gedüngte Pflanze, werkelte an einer Taurolle herum. »Man ist so alt, wie man …«
    »… sich fühlt. Ich weiß!« Sie gab ihm mit dem Kopf einen Stoß vor die Brust und löste sich aus seiner Umarmung. »Klopf keine Sprüche, sondern kümmere dich darum, daß das Boot startklar wird.«
    »So ist das mit der Zärtlichkeit! Nach zwanzig Jahren Ehe glaubt sie einem keiner mehr.« Alexander Baumann half seiner Frau in die Kajüte und gab ihr einen Kuß. Sie zuckte zusammen und sah sich um. Claudia kam gerade an Deck.
    »Die Kinder!« sagte sie. »Verführt man so eine anständige Frau? Ich schlafe heute nacht bei Claudia …«
    »Das wollen wir schon sehen!« Baumann lachte dröhnend. Er stieg zurück an Deck, kniff seiner Tochter in den Po, nannte sie »Mein Rehlein!« und ging dann hinüber zu seinem Sohn.
    »Was ist mit Papa los?« fragte Claudia, als sie in die winzige Küche kam. »Der ist aufgedreht wie 'n Rocker auf 'nem Feuerstuhl.«
    »Du kennst das doch, Rehlein.« Marga Baumann packte die Kühltasche aus. »Wenn Papa wieder segeln kann, ist er wie ein kleiner Junge.«
    Es war ein herrlicher Tag, wahrhaftig! Die Ferien hatten begonnen, und wenn andere Tausende von Kilometern mit dem Flugzeug wegreisten und sich in der ›Sonne des Südens‹ braten ließen, fuhr die Familie Baumann an den Baldeney-See zum Segeln. Jedes Jahr, seit Alex Baumann entdeckt hatte, daß seine Erholung auf dem Wasser lag. Von Essen, wo die Baumanns wohnten, bis zum Baldeney-See, in den die Ruhr floß, war kein langer Weg, und trotzdem spürte man die Veränderung. Wenn man erst auf den Planken stand, wurde man ein anderer Mensch. Man warf den Exportkaufmann ab, man stieß mit einem tiefen Atemzug sämtliche Nöte des Erfolgszwanges aus sich heraus, man schälte sich aus seiner Haut des rastlosen Alltags. Aufträge und Eingänge, Ehrgeiz und Anerkennung – zum Teufel damit! Ein Mensch sein; wo war das noch möglich? Ein paarmal in den vergangenen drei Jahren hatte es allerdings Diskussionen gegeben. Zuerst mit Claudia, die herumstichelte, andere würden ihre Segelboote an die Ostsee oder gar ins Mittelmeer schaffen lassen. Immer nur Baldeney-See. Dann fing auch noch Volker, der Herr Sohn, zu meckern an, und das hatte seinen Grund in einem unheilbaren romantischen Fernweh. Schuld daran war Onkel Titus, ein Freund der Familie Baumann, der von der Welt alle schönen Flecken kannte und davon so fesselnd zu erzählen wußte, daß er ohne weiteres eine ganze Fernsehreihe über die letzten Paradiese hätte bestreiten können.
    »Auch in der Heimat kann man sich erholen!« hatte das Familienoberhaupt gesagt, als auch Marga damit anfing, von der Riviera zu schwärmen, wohin ihre Freundin zu reisen pflegte. »Wir sind eine gesunde und glückliche Familie, wir haben keine Sorgen, können uns ein Segelboot leisten … wir sollten also dankbar sein für jeden Tag! Ich brauche keine Südsee, um glücklich zu sein!«
    Von da an sprach man nicht mehr darüber. Wozu fruchtlos diskutieren? Alexander Baumann gehörte zu jener Generation, die gleich zupacken mußte nach dem Krieg und in beide Hände gespuckt hatte,
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