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Die Nacht des schwarzen Zaubers

Die Nacht des schwarzen Zaubers

Titel: Die Nacht des schwarzen Zaubers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht verhindern, aber weinen wollte er nicht, nicht jetzt und nicht hier. »Dreißig Jahre lang nur ein Ziel vor sich: Das wird einmal eine bessere Welt! Und als die Kinder kamen: Sie sollen den ganzen Dreck, durch den wir uns hindurchgebissen haben, nicht kennenlernen. Als der Krieg zu Ende ging, war ich einundzwanzig. Notabitur, Fähnrich zur See. U 1074. Außer im U-Boot zu hocken und vor Angst zu schwitzen, wenn um uns die Wasserbomben krachten, hatte ich nichts gelernt. Aber ich habe es geschafft, Franz. Marga und ich, wir haben es geschafft. Mein Gott, Marga! Wie soll man ihr das erklären? Aber man muß es ihr sagen.« Baumann öffnete die Augen. Das Brennen in den Augenwinkeln war vorbei. »Man sollte den ganzen Mist hinwerfen und leben! Alles verkaufen, die Welt ansehen, die paar Jahre, die man noch hat, genießen. Wofür soll ich mich noch abrackern? Für Claudia ist gesorgt, und sie wird sowieso einmal heiraten. Alles, was ich geschaffen habe, sollte mal ein Fundament für Volker sein. Es hat jetzt alles keinen Sinn mehr, Franz …«
    »Himmel noch mal, nun wirf bloß nicht gleich alles hin!« Oberfeld griff nach Baumanns Fäusten und hielt sie fest. »Gerade du solltest jetzt nicht in die Knie gehen!«
    »Was sind zwei Jahre, Franz?«
    »Theoretisch zwei Jahre.«
    »Zwei Jahre Qual, zwei Jahre Angst, zwei Jahre lang den unaufhaltsamen Verfall vor Augen. Und dann?«
    »Das Leben geht weiter.«
    »Das ist wieder so ein Spruch, der mich kotzübel macht! Was für ein Leben? Hat es noch einen Sinn?« Baumann schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich werde mit Volker die ganze Welt umsegeln und alle Spezialisten für Leukämie mobilisieren.«
    »Das hört sich schon anders an, und doch ist es Blödsinn. Jede übermäßige Strapaze verringert die Abwehrkraft im Körper.«
    »Ich kann jetzt nicht stillsitzen und warten!« Baumann sprang auf. Auch Dr. Oberfeld erhob sich. Es ist alles gesagt, dachte er. Und es wird alles getan werden; aber was kann man schon groß tun?
    »Wenn ich nur wüßte, wie ich es Marga erklären soll«, sagte Baumann bedrückt. »Für sie wird es noch schwerer sein als für mich.«

2
    Titus Hansen war Vertreter einer pharmazeutischen Fabrik. Allerdings war er kein normaler Vertreter, denn er nannte sich ›Ärzteberater‹. Sein Gebiet war das gesamte Europa, er saß bei allen Ärztekongressen im Auditorium. Er kannte alle internationalen Kapazitäten und repräsentierte seine Fabrik und deren Erzeugnisse im wahrsten Sinne des Wortes global. Freunde von Titus Hansen behaupteten, er hätte gar nichts anderes werden können, nachdem er als letzter Kommandant des U-Bootes 1074 das Kriegsende in Japan überlebt hatte und dann in das zerstörte, vernichtete Deutschland zurückkam – buchstäblich mit nichts als einer umgearbeiteten Marineuniform –, eine Null auch er unter hunderttausend Nullen. Außer dem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen, hatte er auch noch sein Fernweh mitgebracht.
    Er hatte dann in den Jahren des sogenannten Wiederaufbaus mancherlei versucht, war sogar zwei Touren als Zahlmeister auf einem Frachter gefahren, bis er eines Tages in einer pharmazeutischen Fabrik landete. Von da an war Titus Hansen wieder im Leben fundiert. Er reiste kreuz und quer durch Europa, leistete sich im Urlaub das sogenannte Fernerlebnis – einmal in Thailand, einmal in Rio, Ostafrika, mal Indonesien. Er hatte inzwischen ein Fotoarchiv von einigen tausend Dias angelegt.
    Alexander Baumann traf er bei Dr. Oberfeld wieder, als er diesem eine ›Beratung‹ zuteil hatte werden lassen. Im Flur der Praxis prallten sie buchstäblich aufeinander und starrten sich entgeistert an, bis Hansen endlich rief: »Mensch, Alex, alte Flatterhose, was machst du denn hier?«
    Und Baumann antwortete, nicht minder bewegt: »Titus, alter Torpedogleiter, daß es dich noch gibt …« Dann fielen sie sich um den Hals, und Alex Baumann kam von diesem Arztbesuch erst gegen Mitternacht und stockbesoffen nach Hause. Seine Familie hatte bereits an eine Vermißtenanzeige gedacht.
    Von da ab gehörte Titus Hansen zur Familie. Onkel Titus, das war so selbstverständlich wie diese Tasse im Schrank. Vor allem hatte Volker tiefe Freundschaft mit ihm geschlossen. Stundenlang saßen sie hinter dem Projektor, und Titus Hansen konnte von den fremden Ländern und den Abenteuern der U-Bootfahrten erzählen, bis Baumann eingriff: »Titus, nun sing dem Jungen nicht den Kopf voll. Was wir damals erlebt haben, das möchte ich keinem
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