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Die Nacht des schwarzen Zaubers

Die Nacht des schwarzen Zaubers

Titel: Die Nacht des schwarzen Zaubers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich einen neuen Kognak ein. Er ist erregt, dachte Baumann und preßte die Hände in den Schoß. Er weiß mehr. Was ist mit meinem Jungen los, was fehlt ihm?
    »Hat er über Knochenschmerzen geklagt? Etwa, wenn er sich irgendwo gestoßen hatte? Schmerzen im Sternum?«
    »Sprich deutsch mit mir. Du bist nicht unter Fachidioten«, sagte Baumann heftig.
    »Schmerzen im Brustbein.«
    »Nie! Volker konnte jeden harten Knuff vertragen. Beim Segeln geht es oft hart zu. Er hat nie etwas gesagt.«
    »Warten wir die Untersuchungsergebnisse ab.« Oberfeld trank sein Glas leer. »Wir wollen uns nicht in Differentialdiagnosen verirren.«
    »Für dein gelehrtes Geschwafel sollte man dir in den Hintern treten!« Baumann sprang auf und riß den Schlipsknoten aus seinem Kragen. »Verdammt, Franz, ich will die Wahrheit wissen! Ich bin nicht so ein Klotz, für den du mich hältst.«
    Am Telefon meldete sich Dr. Oberfeld: »Alex, wann kann ich mit dir unter vier Augen sprechen?«
    Baumann wußte sofort, daß etwas Fürchterliches, etwas, das tief in sein Leben eingriff, auf ihn zukam. Er holte tief Atem und sagte: »Sofort! In deiner Praxis?«
    »Da ist mir zuviel Medizin. Wie wär's im Weinhaus Bakus?«
    »So schlimm?« sagte Baumann tonlos. »Franz …«
    »In einer Stunde?«
    »In einer Stunde.« Er legte den Hörer auf. Eine Weile saß er wie gelähmt hinter seinem Schreibtisch und starrte ins Leere, als wäre die Welt noch nicht erschaffen. Ich werde das nie begreifen, dachte er. Was immer er sagt, ich werde es nicht begreifen. Welcher Vater kann das? Da ist dein Junge, lebenslustig, dein Stolz und deine ganze Freude, intelligent, voller Pläne … und dann ist da plötzlich irgendein medizinisches Wort, das alles vom Tisch wischt wie lästige Krümel – alle Hoffnungen, alle investierte Liebe, allen Sinn, den man in ein Leben gelegt hat. Wie soll man das begreifen?
    In der Weinstube Baltus hatte Dr. Oberfeld eine Ecke ganz hinten im Lokal ausgesucht. Er saß schon am Tisch, als Baumann eintrat, von der Wirtin mit den üblichen Floskeln über Wetter und Gesundheit begrüßt und zum Tisch begleitet. »Wie immer die Spätlese?« fragte sie.
    Baumann nickte, setzte sich zu Oberfeld und legte die geballten Fäuste auf die Tischplatte. Um seine Mundwinkel war ein leichtes Zucken; sonst blieb sein Gesicht unbewegt.
    Er hatte sich vollkommen in der Gewalt. Woher er diese Kraft nahm, war ihm selbst unerklärlich. »Was ist es?« fragte er. Daß seine Stimme keinen Klang mehr hatte, konnte er nicht verhindern.
    »Der Befund ist zu neunundneunzig Prozent sicher. Das fehlende eine Prozent ist die Hoffnung, die wir Ärzte nie aufgeben.« Oberfeld wartete, bis der Wein eingegossen und die Wirtin wieder gegangen war. »Willst du nicht erst trinken, Alex?«
    »Sag es, Franz. Ich bitte dich!«
    »Es ist eine chronische Myelose.« Oberfeld legte beide Hände um seinen Weinpokal, als müsse er sich daran festhalten. »Besser bekannt unter dem Namen chronische myeloische Leukämie.«
    Sie sahen einander in die Augen und schwiegen. Dann nahm jeder sein Glas, doch keiner wollte das Schweigen brechen.
    »Das … das ist völlig sicher?« sagte Baumann endlich. »Irrtum ausgeschlossen?«
    »Ausgeschlossen! Die Leukozytengesamtzahl ist enorm. Über hunderttausend. In der Milz ist ein harter Tumor tastbar, der Harn ist reich an Ziegelmehlsediment, im Augenhintergrund beginnen sich Blutextravasate zu bilden. Ein eindeutiges Bild von Myelose.«
    Baumann nickte. Er tat es mechanisch wie eine Puppe. Er suchte nach Worten. »Wie lange noch?« fragte er mühsam.
    »Alex!« sagte Oberfeld entsetzt.
    »Belüg mich nicht, Franz. Jetzt nicht, bitte. Wie lange hat mein Junge noch?«
    »Nach unseren klinischen Erfahrungen vielleicht noch zwei Jahre …« Oberfeld griff wieder zum Glas. »Bis jetzt! Aber täglich kann sich alles ändern. Gerade bei der Leukämie! Die Forschungen sind erfolgversprechend. Es ist nicht mehr eine Krankheit, bei der wir wie vor Jahren völlig hilflos dastehen! Es tut sich etwas, Alex!«
    »Ich danke dir, Franz.« Baumann lehnte sich zurück. »Verkriechen wir uns nicht in eine billige Hoffnung. Zwei Jahre also noch – zwei Jahre Krankenhaus?«
    »Nein. Die Behandlung kann ambulant durchgeführt werden. Injektionsserien – und dann Warten.«
    »Ein Hinauszögern, nicht wahr?«
    »Warum siehst du alles so brutal, Alex?«
    »Da hat man sein ganzes Leben lang geschuftet.« Baumann schloß die Augen. Das Brennen in den Augenwinkeln konnte er
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