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Sharpes Feuerprobe

Titel: Sharpes Feuerprobe
Autoren: Bernard Cornwell
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KAPITEL 1
 
    Es ist seltsam, dachte Richard Sharpe, dass es keine Geier in England gibt. Jedenfalls keine, die er gesehen hatte. Hässliche Viecher waren das. Ratten mit Schwingen. Er dachte viel über Geier nach, und er hatte eine Menge Zeit zum Denken, weil er Soldat war, ein gemeiner, für den die Armee meist das Denken übernahm. Sie entschied, wann er aufwachte, schlafen ging, aß und marschierte und wann er herumgammeln und das tun musste, was er die meiste Zeit tat – nichts. Sich beeilen und nichts tun, so liefen die Dinge bei der Armee, und das hatte er satt. Er langweilte sich und dachte ans Desertieren.
    Er und Mary. Einfach abhauen.
    Daran dachte er jetzt, und es war komisch, sich ausgerechnet jetzt damit zu befassen, weil die Armee im Begriff war, Richard Sharpe seine erste richtige Schlacht zu bieten. Er hatte bereits an einer teilgenommen, doch das war vor fünf Jahren gewesen, und es war eine schmutzige, verwirrende Sache gewesen, und keiner hatte gewusst, warum das 33. Regiment in Flandern war oder was es dort tun sollte. Letzten Endes hatten sie dort nichts anderes getan, außer zu erwarten, ein paar Schüsse auf die vom Nebel umhüllten Franzosen abzugeben, und die ganze Sache war fast vorüber gewesen, bevor der junge Richard Sharpe gewusst hatte, dass sie begonnen hatte.
    Er hatte einige Männer sterben sehen. Am besten erinnerte er sich an Sergeant Hawthornes Tod, weil der Sergeant von einer Musketenkugel getroffen worden war, die eine Rippe aus seinem roten Uniformrock trieb. Es war kaum ein Tropfen Blut zu sehen gewesen, nur die weiße Rippe, die aus dem verblichenen roten Tuch ragte.
    »Du könntest deinen Hut dran aufhängen«, hatte Hawthorne erstaunt gesagt, dann hatte er geschluchzt, und danach hatte er Blut gespuckt und war zusammengebrochen.
    Sharpe hatte weiter geladen und gefeuert, und dann, gerade als ihm die Sache fast Spaß gemacht hatte, war das Bataillon davonmarschiert und nach England zurückgesegelt. War das eine Schlacht gewesen!
    Jetzt war er in Indien. Er kannte nicht den Grund der Invasion von Maisur, und er interessierte ihn auch nicht besonders. König George III. wollte Richard Sharpe in Indien haben, und so war er dort.
    Doch der Dienst für den König langweilte ihn jetzt. Er war jung, und er glaubte, dass das Leben mehr zu bieten hatte, als sich zu langweilen und nichts zu tun. Da war Geld zu verdienen. Er war sich nicht sicher, wie er zu Geld kommen konnte außer durch Diebstahl, aber er wusste, dass er sich langweilte und etwas Besseres tun konnte, als am Fuß des Misthaufens auszuharren. Genau dort war er, am Fuß eines Misthaufens, sagte er sich immer wieder, und jeder wusste, wie es da stinkt.
    Besser weglaufen, sagte er sich. Um in der Welt voranzukommen, brauchte man nur ein bisschen Verstand und die Fähigkeit, einen Bastard schneller zu treten, als der einen treten konnte, und Richard Sharpe glaubte, dass er genügend Talent dafür hatte.
    Doch wohin sollte er in Indien weglaufen? Die Hälfte der Einheimischen schien in britischem Sold zu stehen und würde ihn für eine Hand voll Blechstücke, eines im Wert eines Farthings, gerade mal ¼ Penny, ausliefern, und die anderen Inder kämpften alle gegen die Briten oder bereiteten sich darauf vor, und wenn er zu ihnen desertierte, würde man ihn zwingen, in ihrer Armee zu dienen. Er würde mehr Sold in einer einheimischen Armee bekommen, weitaus mehr als die zwei Pence pro Tag, die Sharpe jetzt nach den Zahlungseinstellungen erhielt, aber warum sollte er eine Uniform gegen eine andere eintauschen?
    Nein, er würde irgendwohin weglaufen, wo die Armee ihn nie finden würde, denn sonst würde er an einem heißen Morgen vor dem Erschießungskommando stehen. Eine Salve von Musketenschüssen, das Ausheben der roten Erde für ein Grab, und am nächsten Tag würden die Ratten mit Schwingen ihm die Gedärme aus dem Bauch reißen wie eine Schar Amseln Würmer aus einem Rasen pickte.
    Deshalb dachte er über Geier nach. Er dachte, dass er weglaufen, aber kein Futter für die Geier sein wollte. Lass dich nicht schnappen. Regel Nummer eins in der Armee und die einzige Regel, die zählte. Denn wenn man von den Bastarden geschnappt wurde, würden sie einen zu Tode prügeln oder einem die Rippen mit Musketenkugeln umsortieren – und in beiden Fällen wurden die Geier fett.
    Die Geier waren immer da, kreisten manchmal mit ausgebreiteten Schwingen im warmen Aufwind und hockten manchmal auf Zweigen. Sie lebten vom Tod, eine
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