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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss
Autoren: Christine Fehér
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doch arm.«
    Â»Es kann nun mal nicht jeder Gedanken lesen. Wenn ihr so ein gutes Verhältnis hattet, hätte Max sich auch äußern können.«
    Â»Hat er.« Natalie kämpft gegen einen Kloß im Hals an. »Hat er ja. Ich wusste genau, wie er gelitten hat, zumindest unter unserem Vater. Aber ich habe ihn abgewimmelt.«
    Jonathan blickt sie von der Seite an. »Du konntest nicht wissen, dass es um Leben und Tod ging«, meint er. »Viele Jugendliche haben Stress mit den Eltern. Gib dir nicht die Schuld daran, dass er kein dickeres Fell hatte.«
    Â»Aber ich habe es nicht mal richtig ernst genommen, wenn er mir davon erzählte. Ein paar übliche Floskeln, er soll sich nicht alles gefallen lassen, das war’s. Ich hab so oft gedacht: Mann, Max, wach mal auf, du bist volljährig, Daddy kann dir gar nichts. Oft hätte ich ihn schütteln können. Aber ich hab’s nicht getan. Vielleicht wäre sonst alles ganz anders gekommen.«
    Â»Das glaube ich nicht«, zweifelt Jonathan. »Wenn sich jemand wirklich umbringen will, dann tut er es auch. Niemand hätte das verhindern können, weil niemand ganz genau wissen konnte, wie groß seine Not war. Gegen Selbstmord spricht bei deinem Bruder nur, dass er riskiert hat, andere mit in den Tod zu reißen. Menschen, denen er nahestand, das ist der Wahnsinn, dazu müsste schon viel passiert sein. Vielleicht ist es doch im Affekt geschehen.«
    Â»Es ist viel passiert. Warte mal.« Natalie legt ihre Hand auf seinen Unterarm, ihre Augen weiten sich. »Da war was, eben hatte ich einen Erinnerungsfetzen … Max saß schon mit Annika und Paul im Auto, als ich eingestiegen bin. Irgendwas war da los, es muss Streit gegeben haben, bevor ich kam. Dann sind wir losgefahren … mehr weiß ich nicht, verdammt. Ab da ist wieder ein schwarzes Loch in meinem Hirn.«
    Â»Vielleicht war Alkohol im Spiel«, vermutet Jonathan. »So was passiert immer wieder.«
    Â»Nicht bei Max«, unterbricht ihn Natalie. »Wenn du so über ihn denkst, kannst du gleich den Abflug machen. Max hat fast nie getrunken, und wenn er fahren wollte sowieso nicht.«
    Â»Schon gut«, beschwichtigt Jonathan schnell. »Es war nur ein Beispiel, gar nichts denke ich über Max. Ich will dir nur helfen, dass deine Erinnerung vielleicht zurückkehrt, und wenn es nur stückweise ist.«
    Â»Ich hab Angst davor«, gesteht sie.
    Â»Dann erzähl mir was anderes über ihn«, schlägt Jonathan vor. »Was Max so gemalt hat, zum Beispiel. Hat er auch Graffiti gesprüht?«
    Natalie schüttelt den Kopf. »Wenn er malen wollte, hat er sich zurückgezogen. Du kannst nachher mit raufkommen, dann suche ich ein paar Bilder raus. Irgendwo in seinem Zimmer müssen ja welche sein. Aber noch nicht jetzt. Ich will noch nicht gehen.«
    Wieso macht er das; denkt sie. Was bringt diesen Jungen dazu, seine Zeit mit mir zu verbringen und sich das alles anzuhören, wo es doch so traurig ist? Ein neuer Mensch in meinem Leben. Ich will gar nicht, dass er wieder verschwindet, wenn er erst die Malsachen von Max hat.
    Â»Ich würde gern meine Füße in den Springbrunnen halten«, sagt sie. »Kommst du mit?«
    3.
    Seit Maximilians Tod und ihrer eigenen Entlassung aus dem Krankenhaus hat Natalie sich wieder in eine Art Schutzuniform gehüllt, die gleichen Sachen, die sie trug, bevor es passiert war, nur noch extremer; Destroyed Jeans, Shirts und Pullis im Heavy-Used-Look und ihre Nietenlederjacke, dunkles Augen-Make-up und schwarze Lippen, vor allem aber ihre derben schwarzen Lederboots. Es war eine Art Weigerung gewesen zu akzeptieren, dass das Leben weitergeht, ein Festhalten an dem letzten Frühjahr mit Max, und sie hat auch jetzt, an diesen glühenden ersten Julitagen, daran festgehalten. Sie setzt sich auf den Brunnenrand und löst ihre Schuhbänder, zerrt ungeduldig an den Stiefeln, erst jetzt spürt sie, wie ihre Füße brennen, auch die Socken reißt sie herunter und wirft sie achtlos zu Boden, ehe sie ihre Hosenbeine aufkrempelt und beide Füße gleichzeitig ins Wasser taucht. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, kaltes Wasser, es ist so erfrischend, sie fühlt, wie es den Kreislauf ankurbelt und das Leben in ihr weckt. Ein leerer weißer Plastikbecher, eine durchtränkte Zigarettenkippe und ein hölzernes Eisstäbchen schwimmen an ihr vorüber, sie fischt alles heraus,
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