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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss
Autoren: Christine Fehér
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durfte. Mit seinem Bild von mir, das er gezeichnet hat, spricht er noch immer zu mir, und ich antworte mit der Gestaltung seines Grabes.
    Die Kränze sind längst abgeräumt, die Gestecke vom Tag der Beerdigung verwelkt, aber ich versuche, seiner künstlerischen Ader gerecht zu werden, indem ich auch sein Grab auf immer neue, kreative Art bepflanze. Ich will, dass es lebendig bleibt, immer wieder einem Wandel unterzogen wird, so wie sich Max’ Leben hätte wandeln und immer wieder verändern sollen. Max’ Grab soll ein Garten sein, keine bloße ewige Ruhestätte. Mit Pflanzen und Blumen in verschiedenen Höhen versuche ich das Auf und Ab des Lebens darzustellen, die Farbpalette der Blüten sollen es in all seiner Vielfalt wiedergeben. Oft wünsche ich mir, er könnte sie sehen und riechen, die Blumenpracht, könnte die Sonne und den Wind auf seinem Gesicht spüren, das Gras unter den Füßen. Das sind die Momente, in denen ich traurig werde und ihn am meisten vermisse.
    Seine Angehörigen kommen oft zum Friedhof. Dann halte ich mich immer hinter einer alten Eiche verborgen und beobachte sie von Weitem. Jeder auf seine Art hält stumme Zwiesprache mit Max. Natalie, die fast immer mit ihrem Freund erscheint, bringt immer irgendetwas mit, das sie auf den Grabstein legt, redet leise mit Max, manchmal schimpft sie und stampft zornig mit dem Fuß auf den Boden. Sein Vater steht nur da, das Gesicht schmerzverzerrt und die Arme vor der Brust verschränkt, manchmal schüttelt er kaum merklich den Kopf. Die Mutter betet viel, noch immer weint sie oft, doch wenn sie wieder geht, strafft sie ihre Schultern und hält ihren Körper aufrecht, den Blick nach vorn gerichtet. Viel schwerer fällt dies dem Jungen, der Paul sein muss. Noch immer geht er an Krücken, und obwohl ihn jeder Schritt zu schmerzen scheint, ist er derjenige, der am häufigsten kommt, haltlos wirkt, irritiert, verzweifelt. Ich überlege, ihn einmal anzusprechen. Auch Brückner war neulich da, mit seiner Frau. Sie sind lange geblieben, haben leise miteinander geredet, die Augen auf das Grab gerichtet. Wer fehlt, ist Annika. Vielleicht ist sie weggezogen.
    Bald kommt der Herbst. Ich werde das Grab winterfest machen, danach wird weniger daran zu tun sein, auch wenn ich Max hier weiterhin so oft besuchen werde, wie es geht. Irgendwann wird es der Schnee zudecken, bis der neue Frühling erwacht und die Jahresuhr sich weiterdreht. Ende Dezember ist immer nur für kurze Zeit.
    Auch für mich soll es nicht immer Ende Dezember bleiben. Max hat an mir meinen Lebenshunger geliebt, und ich weiß, er würde wollen, dass ich weiterlebe und eines Tages wieder glücklich bin. Ich weiß noch nicht wie, aber im Frühjahr will ich mir etwas überlegen. Mir einen Job als Tischlerin suchen, dazu hätte ich Lust. Mit meiner Mutter sprechen, ihr sagen, warum ich damals so früh von zu Hause ausgezogen bin. Mich aussöhnen mit ihr oder mich von ihr lösen, je nachdem, wie sie reagiert; wenigstens ich, wenn Max das schon mit seinem Vater nicht mehr tun konnte. Vielleicht hätte das auch ihm Mut gemacht.
    Neulich ist mir aufgefallen, dass ich kein einziges Foto von Max habe, nicht einmal auf dem Handy, weil meines so ein einfaches ohne Kamera ist. Mir war das nie wichtig. Die Erinnerung an seine Augen, sein Gesicht wird also irgendwann verblassen, ohne dass ich es verhindern kann.
    Aber immer und immer, für alle Zeiten, werde ich dieses besondere Geschenk, das ich bekommen habe, in meinem Herzen bewahren. Meine Zeit mit Max.
    Ich bin so dankbar, dass ich dich hatte, Max, und ich verspreche, ich werde dich mitnehmen.
    Mitnehmen ins Leben.

Maximilian. Der Größte
    Ich starte den Motor,
    Â»Fahr vorsichtig«, warnt mich Natalie,
    Angst in ihrer Stimme wie eine Vorahnung, ganz besonnen parke ich aus und fahre los, ruhig und auch innerlich gelassen.
    Nach ein paar Hundert Metern blicke ich in den Rückspiegel, wo Paul und Annika noch immer nebeneinander sitzen, nicht mehr so dicht, sie blicken in verschiedene Richtungen. Vielleicht halten sie sich an den Händen.
    Ich greife das Lenkrad fester und biege in die Landstraße ein.
    Ein Wagen mit Fernlicht kommt mir entgegen und blendet mich, schrilles Lachen dringt aus den heruntergekurbelten Fenstern des anderen Autos zu mir herüber, ein Arm mit dem durchsichtigen Stoff eines Flatterkleides wedelt im Freien. Der Fahrer beschleunigt
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