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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss
Autoren: Christine Fehér
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ehe sie auch ihre Jacke abstreift, die Ärmel ihres Shirts aufkrempelt und mit den Armen bis zu den Ellbogen eintaucht, ihren Nacken mit Wasser benetzt, die Stirn anfeuchtet. Es ist fast wie beim Baden gehen früher, Baden gehen mit Max, vor vielen Jahren, als sie noch Kinder waren. Sommerferien an der Ostsee oder ein Nachmittag im Freibad, das Gefühl jetzt ist wieder das gleiche, die Erfrischung und die plötzlich aufkeimende Lust, unbeschwert herumzutoben, sich in die Unendlichkeit der Fluten fallen zu lassen.
    Auch Jonathan lässt seine Füße ins Wasser hängen, lächelt sie an, er schaufelt etwas Wasser mit seiner Hand und spritzt Natalies Gesicht nass; große, breite Hände hat er. Natalie spritzt nicht zurück, so weit erholt ist sie noch nicht, und er spürt es, fühlt sich ein, bedrängt sie nicht, in Albereien zu verfallen, weiß ganz genau, wie unpassend es jetzt noch wäre. Aber auch er sieht, dass Natalie mit der Lederkleidung ein Stück ihrer Schale, ihres Panzers abgelegt hat. Eine Weile sitzen sie nur nebeneinander und sehen dem immer gleichen Kreislauf des Wassers in diesem Springbrunnen zu, für Natalie hat das gleichförmige Rauschen und Plätschern etwas Beruhigendes, Einlullendes.
    Â»Dieses Unauffällige, Stille«, nimmt Jonathan irgendwann den Faden wieder auf. »Hatte dein Bruder das auch früher schon? Als ihr Kinder wart, meine ich?«
    Natalie nickt. »Er war ein Einzelgänger«, erzählt sie. »Vor fremden Leuten hatte er Angst, sogar Kindern gegenüber war er sehr scheu. Bevor er eingeschult wurde, spielte er am liebsten mit mir – daran erinnere ich mich aber nicht mehr. Meine Mutter hat es mir erzählt. Manchmal wollten andere Jungs aus der Nachbarschaft ihn abholen, aber er ging nur, wenn ich auch mitkam. Sonst blieb er am liebsten im Zimmer und malte.«
    Â»Musstest du dann auch neben ihm sitzen?«
    Â»Quatsch.« Natalie zieht die Augenbrauen zusammen. »Wenn du mich jetzt veräppeln willst, dann verschwinde. An so einen Vollpfosten wie dich rücke ich Max’ Malsachen sowieso nicht raus. Deine paar Kröten kannst du zurückhaben, die wiegen den Wert sowieso nicht auf.«
    Â»Entschuldige«, beeilt sich Jonathan zu sagen. »Es war ein blöder Spruch von mir, tut mir leid. Aber hast du dich nicht wahnsinnig eingeengt gefühlt, wenn er nichts ohne dich machen konnte?«
    Â»Klar«, räumt Natalie ein. »Ich hatte ja Freundinnen und Freunde, schon im Kindergarten. Mit denen wollte ich auch spielen. Malen fand ich damals langweilig, höchstens mit Straßenkreide kritzelte ich draußen manchmal herum, mit den anderen eben. Max machte da selten mit, er war ein richtiger Stubenhocker.«
    Â»Dabei hätte er auch draußen mit Kreide malen können. Hast du schon mal diese Straßenkünstler gesehen, die in der Innenstadt auf dem Pflaster malen? Da sind so tolle Bilder drunter. Neulich war auf dem Marktplatz einer, der malte einen Abgrund direkt an das Geländer zum U-Bahneingang, total irre. Der sah so dreidimensional aus, dass die Leute unwillkürlich einen großen Bogen um das Bild gemacht haben, obwohl sie wussten, dass es nur eine Zeichnung war.«
    Â»Finde ich auch super«, stimmt Natalie zu. »Aber dazu war Max viel zu introvertiert. So ein Bild erregt Aufsehen. Ich wette, er hätte allein bei der Vorstellung schon nachts Albträume bekommen. Wie die Passanten stehen bleiben und ihm zusehen, wie er mitten auf dem Marktplatz hockt und malt.«
    Â»Schade«, meint Jonathan. »Der Erfolg hätte ihm Auftrieb geben können.«
    Natalie schweigt. Max hatte Erfolg, ganz zum Schluss. Der Wunsch, mehr aus seinem Talent zu machen, war unaufhaltsam in ihm gewachsen, er hatte ihn nur nicht entschlossen genug verteidigt. Er hätte Hilfe dabei gebraucht, Ermutigung, nicht nur von einem Menschen.
    Â»Und du?«, forscht Jonathan weiter. »Wie warst du als Kind?«
    Â»Ich weiß nicht.« Natalie zögert, blickt durch die Wasserfontänen hindurch in die Ferne. »Ganz normal eigentlich, fand ich jedenfalls. Aber wo Max zu brav war, bin ich zu unruhig gewesen. In der Schule zum Beispiel. Wenn mir was nicht gepasst hat, im Unterricht oder wenn die Lehrer jemanden ungerecht behandelt haben, dann habe ich das auch gesagt. Und zwar, wann es mir gepasst hat oder wenn ich fand, dass es genau in dem Moment sein musste. Da habe ich mich nicht
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