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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss
Autoren: Christine Fehér
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Abend ist mild, Natalie lässt ihre Jacke offen. In der Fußgängerzone bleiben sie bei einem Straßenmusiker stehen, einer One-Man-Band, der mit Gitarre, Bluesharp und einer Trommel auf dem Rücken die Passanten unterhält; einige werfen Geldstücke in seinen Gitarrenkoffer. Natalie spürt, wie die Musik in ihr Inneres vordringt, gerade das Wimmern und Schluchzen der Mundharmonika ruft ein Ziehen in ihrer Brust hervor, das sie kaum aushält. Aber sie bleibt stehen, zerrt nicht Jonathan am Arm fort, sondern lässt es zu, dass ihr die Tränen kommen, weil die Trauer sie bei den melancholischen Klängen übermannt, sie lässt sie über ihre Wangen rinnen und wischt sie nicht fort; bricht nicht zusammen, aber lässt ihren Gefühlen freien Lauf, hier mit Jonathan an ihrer Seite muss sie keine Stärke beweisen wie zu Hause neben den Eltern, wo sie oft den Eindruck hat, neben der nach außen hin unerschütterlichen Haltung des Vaters die Einzige zu sein, die alles noch aufrecht hält. Erst als sie sich schnäuzen muss, bemerkt Jonathan, was mit ihr los ist, aber auch er versucht nicht, sie weiterzuziehen, sondern legt nur schweigend den Arm um ihre Schultern und Natalie lehnt sich an ihn, er nutzt es nicht aus, dass ihre trotzige, raue Schale, hinter der sie sich anfangs noch verborgen hat, Risse zeigt, versucht nicht, sie zu küssen oder seine Hand unter ihr Shirt zu schieben. Sie stehen noch lange und hören dem Musiker zu. Erst als er eine Pause ankündigt, wischt Natalie ihre Tränen fort und sie ziehen weiter. Immer wieder spürt Natalie Jonathans Blicke auf sich ruhen, er scheint abzuwarten, bis sie sich beruhigt hat, ehe er mit ihr irgendwo einkehren will. Natalie versucht es, zwingt sich zu einer gleichmäßigen Atmung, blickt sich um, bemüht, das Treiben dieses Sommerabends aufzunehmen und sich davon ablenken zu lassen, es gelingt ihr nur schwer. Menschen spazieren eng umschlungen und lachend an ihr vorbei, Stimmengewirr dringt aus Bars, Restaurants und Clubs, und immer wieder Musik, überall Musik. Das alles wird Max nie mehr sehen, denkt sie; verdammt, er wird es nie mehr sehen und hören! Kann das wahr sein, dass er für immer unter der Erde liegt, die Augen geschlossen und nichts mehr von diesem Sommer mitbekommt, nicht von dem im nächsten Jahr, nie mehr? Kann es wahr sein, dass ich ihm später zu Hause nicht von dem Abend mit Jonathan erzählen kann, heimlich, ohne dass unsere Eltern zuhören, heute nicht und an keinem anderen Tag, und auch sonst nie mehr mit ihm sprechen, solange ich lebe? Es kann nicht sein, denkt sie und stöhnt leise auf, fühlt Jonathans Arm fester um ihre Schulter. Wir hätten viel öfter miteinander reden sollen. Es gibt so vieles, was ich nicht von ihm weiß.
    Vor der Kirche hat ein Porträtzeichner seine Bilder ausgebreitet, Bleistift- und Kohlezeichnungen von Schauspielern, Politikern und Stars der aktuellen Rock- und Popszene. Eine kleine Menschentraube hat sich um ihn gebildet, die den Künstler teilweise verdeckt. Natalie zieht Jonathan trotzdem schnell weiter.
    Â»Tut mir leid«, sagt dieser schnell. »Ich wusste nicht, dass der hier malt, sonst wär ich mit dir woanders langgegangen.«
    Â»Er malt beschissen«, zischt Natalie. »Pinselt bloß das ab, was er sieht; das Bild von Angela Merkel hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihr.«
    Ein paar Umstehende drehen sich um, irgendjemand wirft ihr einen zornigen Blick zu und legt den Finger auf die Lippen, eine ältere Dame schüttelt den Kopf.
    Â»Nicht, dass er das noch hört«, warnt sie Natalie. »Die Zeichnung ist doch gut gelungen.«
    Â»Habe ich mit Ihnen geredet?«, gibt Natalie zurück. »Der Typ denkt, bloß weil er ihr ein paar dicke Striche von der Nase bis zu den Mundwinkeln hinklatscht, hätte er sie getroffen.« Sie wendet sich wieder an Jonathan. »Max konnte so was viel besser.«
    Â»Hat er Angie auch gezeichnet?« Jonathan unterdrückt ein leises Lachen.
    Â»Nicht dass ich wüsste. Aber wenn er Porträts zeichnete, dann mit Gefühl. Er hat die Leute so gemalt, wie sie wirklich sind, oder zumindest wie er sie wahrgenommen hat. Seine Gesichter sind so treffend, fast wie bei einem Karikaturisten, aber ohne diese typischen Verzerrungen und Übertreibungen. Er hatte es einfach drauf.«
    Â»Wenn er dich gezeichnet hat, würde ich das Bild gern mal sehen«,
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