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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still
Autoren: Christa von Bernuth
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ist auch, dass er es vorher geraucht hat, also doch schon länger drauf war, als es jetzt den Anschein hat. Viele machen das ja heutzutage. Ich würde auf jeden Fall sagen, er war möglicherweise schon auf dem Weg in die Abhängigkeit. Aber noch keine fühlbaren Vernarbungen, keine Krankheiten, nichts in dieser Richtung.«
    »Dann hat er sich die Spritze selbst verabreicht?«
    »Keine Spuren eines Kampfes. Keine fremden Hautfasern unter den Fingernägeln, keine Kratzer, keine sonstigen oberflächlichen Verletzungen, kein Zeichen für Fremdeinwirkung. Außer eben diese herausgeschnittene Zunge und die übrigen...«
    »Post-Mortem-Verletzungen?«
    »Ja, die Schnitte wurden ihm nachträglich beigebracht. Todesursache ist jedenfalls die Überdosis. Ich schätze, er hat sich das Zeug selbst gespritzt, ohne zu wissen, wie viel es war. Er war wahrscheinlich noch… unerfahren. Außerdem war der Stoff ungewöhnlich rein.«
    Mona dachte einen Moment nach. »Jemand muss es ihm gegeben haben und bei ihm gewesen sein, als er es sich gespritzt hat. Anschließend hat der Jemand dem Jungen diese Verletzungen beigebracht. Anders ergibt das Ganze keinen Sinn.«
    »Möglich«, sagte Herzog mit einer Stimme, als seien ihm ihre Schlussfolgerungen ziemlich egal. »Sie kriegen den Bericht um halb eins.«
    »Danke.« Mona legte auf und rief anschließend bei Anton an, um ihm mitzuteilen, dass es heute später werden würde. In ihrem Leben hatten sich einige Dinge geändert. Noch immer besaß sie ihre eigene Wohnung, noch immer war sie offiziell allein erziehende Mutter, noch immer wusste niemand im Dezernat 11 über ihre Beziehung zu einem Mann Bescheid, gegen den nun schon jahrelang wegen Autoschmuggels ins östliche Ausland ermittelt wurde (mit auf- und abnehmendem Elan der Behörden, da ihm nie etwas nachzuweisen war). Aber mittlerweile taten Anton und Mona das, wogegen Mona sich aufgrund ihrer Position, die sich in keiner Weise mit seinen problematischen Aktivitäten vereinbaren ließ, jahrelang gewehrt hatte: Sie lebten de facto zusammen. Sie waren eine Art Familie. Eine so normale, wie es angesichts der Gegebenheiten eben möglich war. Und ihr gemeinsamer Sohn Lukas hatte endlich ein echtes Zuhause.
    Auf diese Weise war in ihren Alltag eine prekäre Ruhe eingekehrt, die sich jederzeit ins Gegenteil verkehren konnte. Nach wie vor sprach Anton nicht über seine Geschäfte am Rande (oder völlig außerhalb) der Legalität, und Mona schloss die Augen vor den möglichen Konsequenzen, denn, dachte sie, was machte es für einen Sinn, sich etwas auszumalen, auf das man im Fall des Falles ohnehin keinen Einfluss hatte?
    Es war wie immer bei ihr: Kurzfristige Lösungen ersetzten langfristige Strategien. Aber gab es nicht das Sprichwort, dass nichts so langlebig ist wie ein Provisorium?
    »Anton, hier ist Mona«, sagte sie in den Hörer, leise, weil sie wusste, wie hellhörig hier Türen und Wände waren.
    »Du kommst später«, sagte Anton. Sie mochte seine Stimme, die gleichzeitig tief und sanft war.
    »Ja. Bestimmt nicht vor zehn. Wir haben einen neuen Fall.«
    »Red lauter, ich versteh kein Wort.«
    »Du hast ganz gut verstanden. Gegen zehn. Wie geht’s Lukas?«
    »Der isst heute in der Schule und kommt um zwei mit seinem Freund Dennis.«
    »Bist du da, wenn er kommt?«
    »Sicher. Weißt du doch.« Sie hörte sein leises Lachen durch den Hörer. Anton hatte ein paar unbezahlbare Eigenschaften: Er war ein liebevoller Vater und vor allem häufig zu Hause, denn seine Geschäfte ließen sich offenbar problemlos per Telefon organisieren. Für die Arbeit vor Ort hatte er seine Leute – die Mona nicht kannte und auch nicht kennen lernen wollte.
    »In zwei Wochen hat Lukas Ferien...«, begann Anton.
    »…und wir fahren nach Griechenland«, vollendete Mona den Satz. »Ich vergess das schon nicht.«
    »Das sagst du so. Wenn du einen neuen Fall hast, gilt das plötzlich nicht mehr.«
    »Natürlich gilt das.«
    »Schreib dir den Termin auf. Mittwoch, 30. Juli. Um neun geht die Maschine.«
    »Anton. Urlaub ist eingereicht und genehmigt.«
    »Ja, ja. Ich kenn dich. Dann kommt ein neuer Fall und...«
    »Bis dann«, sagte sie und legte auf, weil es an ihrer Tür klopfte und sie wusste, dass Leute wie Fischer grundsätzlich nie auf ein »Herein« warteten.
    »Herein«, sagte Mona, als Fischer schon vor ihrem Schreibtisch stand. Er überhörte das. »Wir wissen jetzt, wie er heißt.«
    »Oh. Gut.«
    »Ziemlich sicher jedenfalls. Wir haben eine Meldung vom
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