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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still
Autoren: Christa von Bernuth
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Foto, und das war’s dann. Ist er’s aber doch, bringen solche Manöver nichts.«
    »Sie kriegen aber nicht gleich den Schock ihres Lebens. Sie haben Zeit, sich vorzubereiten. Ich mach das immer so. Also in Vermisstenfällen bei Tötungsdelikten. Immer.«
    »Das ist – äh – nett von dir. Sehr rücksichtsvoll.« Es war nicht nur das, sondern ausgesprochen erstaunlich für ein Raubein wie Fischer. »Aber eine schlechte Nachricht wird keine Spur besser, wenn du sie nett verpackst. Deswegen fahren wir ja hin. Damit sie nicht allein sind, wenn..., also, wenn es sich als wahr erweisen würde und ihr Sohn das Opfer ist. Und davon können wir ausgehen.«
    »Was ist, wenn sie nicht da sind?«
    »Das sehen wir dann.«
    Sie verließen die Umgehungsstraße und passierten das gelbe Ortsschild von Gersting. Fischer hielt sich untypischerweise streng an die Geschwindigkeitsbegrenzung, und Mona ließ das unkommentiert. Keiner von beiden hatte es besonders eilig, Eltern, die noch hofften und beteten, vor vollendete Tatsachen zu stellen.
    Gersting war sehr klein und wirkte wie von der Welt vergessen . Totes Kaff hatte Fischer gesagt, und die flapsige Charakterisierung passte ziemlich gut. Die Hauptstraße war flankiert von uralten Bauernhöfen mit ultramodernen Traktoren vor den Stalltoren und betonfarbenen Anbauten aus den Sechzigerjahren. Im Zentrum standen eine nagelneue Filiale einer großen Metzgereikette, eine Boutique namens »Modische Zeiten« und ein Eiscafé. Nirgends war jemand zu sehen; selbst im Eiscafé saß niemand. Vielleicht lag es an der Mittagshitze.
    »Seltsam hier«, sagte Mona, und ihre Stimme schien vom Ort verschluckt zu werden. Fischer würdigte sie keiner Antwort.
    »Wo jetzt?«, fragte er stattdessen.
    »Weiß ich doch nicht. Die Straße heißt Ulmenweg. Ulmenweg 1. Halt an und frag wen.«
    »Hier ist doch keiner.«
    »Herrgott! Dann halt bei dem Bäcker da vorn!«
    »Der hat geschlossen, wetten?«
    Der Bäcker hatte tatsächlich über Mittag geschlossen. Es war fünf nach zwölf. Fischer fuhr weiter, mit verbissenem Gesicht. »Es ist außerhalb«, sagte er schließlich.
    »Wieso fragst du dann, wenn du eh...« Mona verstummte. Das menschenleere Gersting sog ihre Energien auf wie ein schwarzes Loch und produzierte merkwürdige Bilder und angstvolle Gedanken.
    Sie ließen Gersting hinter sich, aber ihre Beklemmung blieb. Nach ein, zwei Kilometern sahen sie eine Querstraße, die tatsächlich Ulmenweg hieß und direkt in ein nahe gelegenes Wäldchen führte. Fischer warf Mona einen triumphierenden Blick zu und bog ein. Der Ulmenweg war schlecht asphaltiert und voller Schlaglöcher. Mona hielt sich am Griff über dem Seitenfenster fest, denn Fischer gab ausgerechnet jetzt richtig Gas, so als wollte er sein Unbehagen mit Motorenlärm betäuben. Sie passierten das Wäldchen, kamen auf eine Lichtung, und schon bremste Fischer vor einem Anwesen – dem einzigen Anwesen des Ulmenwegs, denn die Straße endete hier in einer Sackgasse.
    »Verdammt«, sagte Fischer verblüfft.
    Ulmenweg 1 war eine Villa, wie man sie aus amerikanischen Filmen kannte: weiß gekalkte Holzfassade, Säulen vor dem Eingang und mehrere Veranden. Das Grundstück – eigentlich war es eher ein Park – sah auf kunstvolle Weise verwildert aus. Fischer und Mona stiegen aus und klingelten am schmiedeeisernen Gartentor. Sie hörten einen durch die Hauswand gedämpften, melodiösen Glockenton und warteten. Es war sehr still. Nicht einmal Vögel zwitscherten.
    »Plessen«, sagte Mona. »Hast du den Namen schon mal gehört?«
    Fischer schüttelte stumm den Kopf, aber er sah aus, als sei er nicht ganz sicher.
    Plessen. Mona war sich plötzlich sicher, dass sie ihn kannte. Aus dem Fernsehen möglicherweise. Irgendeine Talkshow. Vielleicht auch eine Interviewsendung. Sie hob die Hand, um ein zweites Mal zu klingeln, doch im selben Moment ertönte ein Summen, und die Haustür öffnete sich. Eine Frau stand im Schatten des Säulenvorbaus und bedeutete ihnen, das Gartentor aufzustoßen.
    Mona und Fischer gingen langsam auf sie zu. Sie hatten beide heimlich gehofft, dass niemand zu Hause sein würde. Beide hassten das, was ihnen jetzt bevorstand.
    Die Frau war vielleicht Anfang vierzig und sehr schlank. Sie hatte kurze, dunkle Haare, ein kleines Gesicht mit kräftiger gerader Nase, vollen Lippen und auffallend großen blauen Augen mit getuschten Wimpern. Mona suchte unwillkürlich Halt in diesen Augen, die sie unverwandt ansahen. Es war Frau Plessen,
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