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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still
Autoren: Christa von Bernuth
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niemand anders, kein Dienstmädchen, keine Haushälterin. Auch das Alter stimmte. Ihr Mann, hatte Fischer den Unterlagen entnommen, war wesentlich älter als sie. Mona wartete darauf, dass sie eine Frage stellte. Es war leichter, wenn das unvermeidliche Gespräch auf diese Weise begann.
    Die Frau tat ihr den Gefallen.
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »Ja«, sagte Mona.
    »Ich habe Sie dort gar nicht gesehen.«
    »Wir – äh – arbeiten für eine andere Abteilung.«
    »Haben Sie eine Nachricht von...«
    »Können wir vielleicht kurz hereinkommen?«
    »Oh... Ach ja, natürlich. Bitte.« Die Frau ließ sie an sich vorbei und machte hinter ihnen die Tür zu. Nun standen sie zu dritt in einer dämmrigen Halle. Mona ertappte sich bei dem Wunsch, ihre Sandalen auszuziehen und sich barfuß auf den schwarzen Marmorfußboden zu stellen, der ihre heißen Füße kühlen würde.
    »Könnten wir ein Foto Ihres Sohnes sehen?«, fragte sie.
    »Ja, sicher«, sagte die Frau schnell und mit eifriger Stimme, als sei sie erleichtert über diese leicht zu erfüllende Bitte. »Wir haben keins mitgebracht, als wir ihn vermisst gemeldet haben. Wir haben’s einfach vergessen.«
    »Das macht nichts. Haben Sie gerade eins zur Hand? Sonst...«
    Die Frau entfernte sich hastig; ein paar Sekunden später hörte man nur noch das sich entfernende Klappern ihrer Absätze.
    »Toll«, flüsterte Fischer gereizt. »Jetzt holt sie das Foto, wir sehen, es ist der Vermisste, und dann? Zeigen wir ihr, ällabätsch...«
    »Nein«, sagte Mona. »Ich hab’s mir anders überlegt. Wir zeigen ihr unser Foto nicht, sondern sagen ihr, dass wir ihren Sohn möglicherweise gefunden haben, und nehmen anschließend sie und ihren Mann mit in die Stadt. Dann hat sie Zeit, sich darauf vorzubereiten.«
    »Toll«, fing Fischer wieder an.
    »Sei ruhig«, unterbrach ihn Mona. Sie wusste, diese Frau war die Mutter des Opfers. Sie wusste, in ein paar Sekunden war es zu Ende mit dem Frieden in diesem Haus, und das für lange, lange Zeit. Ihr kommt immer nur, wenn alles scheiße läuft. Wenn alles gut läuft, braucht euch kein Mensch. So oder so ähnlich hatte sich KK Patrick Bauers Exfreundin ausgedrückt, bevor sie ihn verlassen hatte. Wenn alles gut läuft, braucht euch kein Mensch. Und sie hat Recht, hatte Bauer damals in Monas Auto geschluchzt. Kein normales Mädchen braucht einen Mann wie mich. Und er hatte trotzdem weitergemacht. Wie Forster, Schmidt, Fischer, Mona – sie alle von der MK 1. Man konnte mit diesem Job nicht einfach aufhören. Er ließ einen nicht mehr los. Er beeinflusste Leben und Lieben, verfolgte einen bis in die Träume, machte zynisch und traurig und alle Illusionen von Ewigkeit zunichte. Aber ohne ihn fühlte man sich wie amputiert.
    »Es ist bloß ein Schnappschuss«, sagte die Frau, die plötzlich wieder neben ihnen stand, barfuß und ohne ihre High Heels, was sie noch kleiner und zierlicher wirken ließ. Vielleicht hatte sie das muntere, geschäftige Geräusch, das ihre Absätze produzierten, auf einmal gestört. Vielleicht bereitete sie sich unbewusst auf die Grabesstille vor, die dieses Haus bald umhüllen würde wie ein weiches Tuch. Vielleicht...
    Mona nahm das Bild in die Hand.
     
    Auf dem Kopf, in den kurz geschorenen, dichten blonden Haaren steckte lässig eine Sonnenbrille. Er lächelte schief; sein Gesichtsausdruck wirkte wie eine seltsame Mischung aus Amüsiertheit und Gereiztheit. Aber das lag vielleicht nur an dem blendend hellen Sonnenlicht, das ihn die Augen zusammenkneifen ließ: Es war Samuel Plessen, ohne jeden Zweifel.
     
    Mona reichte das Bild mit gesenktem Kopf an Fischer weiter. Sie spürte die Hand der Frau auf ihrem Arm.
    »Es ist möglich, dass wir Ihren Sohn gefunden haben«, sagte Mona schließlich, ohne sie anzusehen. »Ist Ihr Mann zu Hause?«
    »Was ist mit Sam? Bitte... Was ist mit ihm?«
    »Ihr Mann. Ist er hier? Können wir mit ihm reden?«
    Frau Plessen nahm Monas warme Hände in ihre eigenen, die eiskalt waren, und Mona brach der Schweiß aus, aber sie hob nun doch den Kopf und hielt dem Blick stand, in dem sich mühsam beherrschte Angst zeigte und eine winzige Spur Hoffnung. »Sagen Sie mir, was Sie vermuten. Bitte, ich kann das aushalten.«
    Ihre Hände waren eiskalt, aber Mona ließ sie nicht los. »Ihr Mann. Wo ist er jetzt? Wie kann man ihn erreichen?«

6
    1981
    Eine Politik, die versucht, alles zu kontrollieren, produziert mit einem scheinbar paradoxen Automatismus Nischen unzugänglicher Privatheit, und
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