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Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)

Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)

Titel: Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)
Autoren: Holly Black
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Erstes Kapitel
    Poppy platzierte eine Meerjungfrauenpuppe am Rande der asphaltierten Straße, die als Schwärzeste See diente. Die bei Goodwill erstandenen Puppen waren alt, sie hatten große, sanft schimmernde Köpfe, Schwanzflossen in verschiedenen Farben und krauses Haar. Dann warteten die Meerjungfrauen darauf, dass das Boot näher kam, ihre mörderischen Absichten hinter ihrem albernen Plastiklächeln verbergend. Wenn möglich, würden sie das Schiff im seichten Wasser auflaufen lassen, die Piraten ins Meer locken und sie mit ihren spitzgezackten Zähnen zerreißen.
    Zachary Barlow kramte in der Tasche mit den Actionfiguren und holte den Piraten mit den zwei Entermessern heraus. Dann stellte er ihn vorsichtig in die Mitte des bootsförmig ausgeschnittenen Papiers, das sie mit Kies aus der Einfahrt beschwert hatten. Ansonsten würde der Spätsommerwind die Neptunperle wahrscheinlich fortwehen.
    »Wir müssen uns am Mast festbinden«, sagte Zach als Säbel-William, dem Kapitän der Neptunperle .
    Zach hatte für jede Figur eine eigene Stimme. Er hatte keine Ahnung, ob außer ihm noch jemand diese Stimmen unterscheiden konnte, aber er fühlte sich verwandelt, wenn er den Ton wechselte.
    Alice’ Zöpfe fielen nach vorne und verdeckten ihre bernsteinfarbenen Augen, als sie Lady Jaye zur Mitte des Bootes schob. Lady Jaye war eine Taschendiebin, die sich Säbel-William angeschlossen hatte, nachdem sie vergeblich versucht hatte, ihn auszurauben. Sie war laut und wild, ganz im Gegensatz zu Alice, die stillschweigend vor ihrer gluckigen Großmutter kuschte.
    »Glaubst du, die Wachposten des Herzogs erwarten uns schon an den Silberfällen?«, ließ Alice Lady Jaye sagen.
    »Kann schon sein, dass er uns dort erwischt«, sagte Zach und grinste sie an. »Aber uns kann er nicht aufhalten. Das kann keiner.« Diese Sätze kamen ihm einfach so über die Lippen, ohne dass er darüber hätte nachdenken müssen, aber es waren genau die richtigen. Sie passten zu William.
    Darum liebte Zach dieses Spiel so sehr. Den Augenblick, wenn er eine andere Welt betrat, die sich wirklicher anfühlte als die reale. Dieses Gefühl würde er niemals missen wollen. Lieber würde er bis in alle Ewigkeit so weiterspielen, auch wenn er nicht wusste, ob das möglich sein würde. Es war jetzt schon manchmal schwer.
    Poppy strich sich ihre vom Wind zerzausten roten Haarsträhnen hinters Ohr und sah Zach und Alice ernst an. Sie war klein und energisch; ihre leuchtenden Sommersprossen erinnerten Zach an Sterne am Nachthimmel. Der Geschichte eine neue Wendung zu geben, war für sie das Größte. Sie hatte ein ausgezeichnetes Gespür für dramatische Szenarien, was sie für die Rolle des Bösewichts prädestinierte.
    »Ihr könnt euch mit Tauen fesseln und so den Sirenengesängen widerstehen, aber kein Schiff darf diese Gewässer kreuzen, ohne der Tiefe sein Opfer dargebracht zu haben«, ließ Poppy eine Meerjungfrau sagen. »Ob ihr wollt oder nicht. Wenn von der Besatzung keiner freiwillig über Bord geht, wird das Meer sich sein Opfer holen. Dies ist der Fluch der Meerjungfrauen.«
    Alice und Zach tauschten einen Blick. Sagten die Meerjungfrauen die Wahrheit? Poppy durfte solche Regeln – die mit den anderen nicht abgesprochen waren – eigentlich nicht einfach aufstellen, doch Zach protestierte nur, wenn sie ihm nicht gefielen. Ein Fluch war eine klasse Idee.
    »Eher fahren wir alle zusammen zur Hölle, ehe wir ein einziges Mitglied unserer Besatzung opfern«, rief er mit seiner Williamstimme. »Wir segeln im Auftrag der Großen Königin und fürchten ihren Bannspruch mehr als euren.«
    »Doch plötzlich«, sagte Poppy mit unheilschwangerer Stimme und schob eine Meerjungfrau näher an den Bootsrumpf, »packen schwimmhäutige Finger Lady Jayes Knöchel. Die Meerjungfrau zieht sie über Bord. Weg ist sie.«
    »Das kannst du nicht machen!«, sagte Alice. »Ich hatte mich an den Mast gefesselt.«
    »Das hast du nicht ausdrücklich gesagt«, entgegnete Poppy. »William hat es zwar vorgeschlagen, aber ob du es tust oder nicht, war nicht klar.«
    Alice stöhnte, als würde Poppy sich absichtlich dumm stellen. Was irgendwie ja auch stimmte. »Also, Lady Jaye befand sich in der Mitte des Boots. Auch wenn sie nicht am Mast festgebunden war, käme keine Meerjungfrau an sie heran, ohne an Bord zu klettern.«
    »Wenn Lady Jaye über Bord geht, springe ich hinterher«, sagte Zach und ließ William ins kieselige Wasser fallen. »Ich habe es ernst gemeint, als ich
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