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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Tageblatt angehört und gedient hatte und wohin Mannhardt nach ganz bestimmten dienstlichen Vorkommnissen (er hatte seinen maliziösen Vorgesetzten mit einem Stein erschlagen wollen) zur psychiatrischen Behandlung verbracht worden war. Unfähig noch immer zum Einsatz an der kriminellen Heimatfront, war er für zwei Jahre als «Lehrbeauftragter auf Zeit» zur Hochschule für Öffentliche Verwaltung (HÖV) nach Bramme abkommandiert worden, wie das Leben so spielte, weilte nur noch in Berlin, um seinen Umzug in die Wege zu leiten.
    Mannhardt bremste. «Da ist dein Krematorium… Paß schön auf, daß de nicht selber…!»
    «Paß du lieber auf, wenn du mit Grobi Arm in Arm…!»
    «Geh mit Gott, dann gehste mit keinem Spitzbuben!» Mannhardt ließ seinen Freund und Genossen aussteigen. «Vierzehnneunzig!»
    «Fünfzehn bitte!» Corzelius warf drei Fünfmarkstücke auf den Beifahrersitz, schmetterte die Tür von außen zu und tippte sich gegen die Stirn, als Mannhardt mit einer Art Monza-Start davonschoß.
    Corzelius sah sich um. Da war der gewaltige Neubau des Krematoriums, und unwillkürlich hätte er Mannhardts nestbeschmutzlerische Stimme im Ohr: Nach Berlin des Sterbens wegen! Berlin tut gut – und auf unseren wunderschön gepflegten Friedhöfen ist immer noch ein Plätzchen für Sie frei! Modernste Krematorien warten auf Sie!
    Dieser Mannhardt! Kopfschüttelnd sah er ihm und seiner ausgeliehenen Taxe hinterher, hörte ihn schon wieder, wie er mit zugehaltener Nase die großen Ernst-Reuter-Worte variierte: Ihr Völker der Welt, ault auf diese Stadt!
    Nee, wissense, nee!
    Er riß sich los, ging zum Krematorium hinüber. Aus dem über dreißig Meter hohen Schornstein stieg dünner Rauch in den märkischen Himmel, und Wim Wenders hätte seine Freude dran gehabt. Weniger allerdings an der lange diskutierten Frage, ob man die bei der Leichenverbrennung gewonnene Wärme nun ins öffentliche Fernheizungsnetz einspeisen solle oder nicht. Heute gibt’s kein warmes Essen bei uns, heute ist unser Opa eingeäschert worden. So die Pietätvollen.
    Unmengen an Beton waren hier verbaut worden, und am Sterben und der «Totgutbeseitigung» hatten die beteiligten Firmen sicherlich eine Menge verdient. Zuviel? Und einige Politiker und Beamte mit ihnen? Das war’s, was er ergründen wollte. Eine schöne Story für seinen Einstand in Berlin.
    Wer sich die Welt mit einem Donnerschlag erobern will, dachte er mit einer alten Ralf-Benatzky-Zeile, darf nicht warten, bis ein anderer vor ihm blitzt…
    Er hatte Hemmungen, die Stufen zur Trauerhalle hinaufzusteigen. Wie die Pinguine auf einem terrassenförmigen Felsen, so standen sie da, Trauergäste scharenweise, offenbar ein hohes Tier gestorben, warteten auf den Beginn der Feier. Endlich erklangen die Glocken, und sie zogen, Zeitlupe alles, schweigend in die Halle, nicht aber ohne jedes Geschubse. Bis einer der städtischen Diener die Flügeltüren hinter ihnen verschloß.
    Corzelius ging nun gemessenen Schrittes hinauf, angezogen von der einsetzenden Orgelmusik, fragte sich, wo und wie denn seine Stunde schlagen würde. Hier in Berlin? Nach Berlin des Sterbens wegen… Und wie viele Freunde kämen dann wohl eingeflogen, waren bereit, Ex-Frau und Tochter zu trösten und ihm Gutes nachzusagen. Memento mori, jaja… Seine Mutter fiel ihm ein, deren Hobby es nachgerade war, an Trauerfeiern teilzunehmen, mochten die teueren Toten ihr noch so ferngestanden haben. Hinterher fühle sie sich immer toll; einen anderen hatte es ja diesmal erwischt.
    Drinnen begann der Pfarrer mit der Standardpredigt, und Corzelius drückte sein rechtes Ohr gegen die Tür.
    «…und wir sind traurig, Herr, denn wir müssen für immer Abschied nehmen von einem Menschen, der uns so vertraut war wie niemand sonst. Mit seinem Tod geben wir auch einen Teil von uns selbst dahin. Und dennoch wollen wir…»
    Eine schwere Hand legte sich auf seine Schultern. «Herr Corzelius…?»
    Sein Herzschlag setzte aus, a faint cold fear thrills through his veins.
    Der Tod!
    Kindlich-archaische Angst erfüllte ihn, nicht länger als der Schmerz, wenn ihm die Spritze des Arztes tief ins Zahnfleisch fuhr, ihn aber derart packend, daß er anschließend glaubte, Bart und Haar müßten sich weiß, schlohweiß gefärbt haben.
    Alles Quatsch, natürlich! Er fuhr herum, riß sich in die Wirklichkeit zurück, dachte automatisch an Politik und Staatsschutz und dergleichen, begriff dann aber doch, daß der Mann hinter ihm kein anderer sein konnte
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