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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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    1.
     
     
     
    Jessica saß mit ihrer kleinen Tochter im Arm auf einem Lehnstuhl am Fenster, und die Berliner Morgensonne, gerade in der engen Röhre ihres Hinterhofes vollends zum Vorschein gekommen, erschien ihr wie ein riesengroßer Scheinwerfer hoch über einer kleinen Bühne. Yemayá, mit ihren knapp fünf Monaten erst vor kurzem abgestillt, war von ihrem Fläschchen anfangs wenig angetan, suchte noch immer die viel besseren Brustwarzen hinter der schwarzen Seidenbluse ihrer Mutter, begann nun aber doch am aufgesetzten Noppennuckel zu zuppeln. Jessica, schon ein wenig in Panik, war schnell wieder beruhigt, summte und sang, als sie ihre Tochter dafür gelobt hatte, von deren Namen und der ganzen Stimmung angeregt, die berühmtesten Verse des großen Kubaners Jose Marti.
    «Con los pobres de la tierra quiero yo mi suerte echar, el arroyo de la sierra me complace más que el mar. Guantanamera…» Sie übersetzte es mit ihrer rauchig-erotischen Stimme, geschult an der Streisand, der Greco und mehr noch der Liza Minnelli, mit der sie alsbald die Welt erobern wollte.
    Die beiden Männer im hinteren Teil des Raumes, erheblich älter als sie, der eine mehr als fünfzehn, der andere an die dreißig Jahre, schwiegen seltsam angerührt, beinahe ergriffen, für diese eine Minute voll versöhnt mit einem Hier und Heute, das sie ansonsten eher sinnentleert und grausam fanden.
    «…guajira Guantanamera. Yo soy un hombre sincero…»
    Die alten Götter der Santeria hatten sich versammelt, sie alle kräftig zu verzaubern. Chango, Gott der Musik (aber auch des Krieges); Ochún, die Göttin der Flüsse, der Liebe und des Goldes; waren von Kuba hergeweht in diese ländlich-schlichte Wohnung am Wilmersdorfer Ludwigkirchplatz, Kudammnähe, wo Jessica Criens ihr Leben inszenierte, als wär’s ein Film von Bunuel.
    «Und bevor ich sterbe, möchte ich die Verse meines Herzens…» Sie schluckte. «…y antes de morir me quiero echar mis versos del alma…»
    «Antes!» lachte Corzelius, meinte Wolfgang Antes, den Berlin-Charlottenburger Ex-Stadtrat, steile CDU-Karriere, kriminell geworden und gerichtet, Kürzel für Berliner Sumpf und Filz und Bauskandal.
    Diese Assoziation, aber auch das nun stressig schrillende Telefon rissen Mannhardt und Corzelius, Jessica und das Baby schmerzhaft in die sommerkühle, rauhe Wirklichkeit zurück. Yemayá schrie, Jessica fluchte, und die beiden Männer stritten sich, wer denn nun aufstehen und abheben sollte.
    «Geh du mal bitte», sagte Corzelius. «Du sitzt näher dran am Apparat.»
    Mannhardt wehrte sich. «Ich bin doch nur zu Besuch bei euch.»
    Corzelius schlug mit der flachen Hand auf das Brammer Tageblatt, das er sich noch Tag für Tag nachschicken ließ («…und wenn’s auch nur zum Arschabwischen ist!»), und jammerte, er sei so fürchterlich schlecht drauf heute. «Soll ich etwa selber sagen, daß ich nicht da bin…!?»
    «Also gut…» Mannhardt stand auf, stöhnte über sein Arthrosis-Knie und seinen Rücken. «Mann, ist der steif…!»
    «Sei doch froh, daß wenigstens noch etwas steif wird bei dir!» höhnte Corzelius.
    Mannhardt riß den Hörer hoch, meldete sich mit seinem eigenen Namen, verzichtete auf das nachgeschobene «bei…».
    Zuerst war nichts anderes zu hören als ein galaktisches Rauschen und Knistern, dann ertönte eine fast schon synthetische Stimme: «Der Wagen steht bei Ihnen vor dem Haus. Vordere Tür offen. Schlüssel unter der Fußmatte. Beeilung bitte. Ende!»
    «Danke!» Mannhardt legte auf. «Mein Herr Sohn hat mir seine Taxe gebracht.»
    Corzelius sah ihn gähnend an. «Meinst du wirklich, daß das nötig ist? Ich halt’s eher für’n bißchen Kasperletheater.»
    «Die ganze Welt ist ein Kasperletheater…»
    «Bitte: spiel den Taxifahrer!»
    «Ja, mach ich auch! Ich will nämlich nicht, daß mich meine alten Kripo-Kollegen mit unserm lieben Grobi sehen – und erst recht nicht die Leute, über die er mir was stecken will. Ich als Taxifahrer und er als Fahrgast: da fällt keinem was auf.»
    Corzelius grinste breit wie Didi Hallervorden. «Mensch, vielleicht wirste dabei überfallen!»
    «Wenn ich dich sehe, überfällt mich schon immer was: Mordlust nämlich!»
    Corzelius stand auf. «Na, sei mal da vorsichtig; bei deiner Biographie…! Aber, wie auch immer: Kannst du mich ja gleich mal zum Krematorium mitnehmen…»
    «Ja, gerne. Aber wie kommste vorher in die Urne rein?»
    «O Gott, das Schlimmste in Berlin sind wirklich seine Witzbolde. Pfitzmann,
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