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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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schien etwas irritiert.
    Jessica zögerte noch immer, und plötzlich war es ihr, als würde sie einen großen Einkaufswagen mit Kondomen vollgeladen durch die drospa schieben müssen. Eine hysterische Zicke schalt sie sich, wußte aber sehr genau, daß ihre heftige Verlegenheit schon ihre guten Gründe hatte, denn ein erhebliches Stückchen Prostitution war das Ganze allemal, allein der vielen Bettszenen wegen, wenn sie Millionen Männer zu Hause besuchte und nichts dagegen unternehmen konnte, wenn sie mit ihrem Körper machten, was sie wollten.
    Wie in einem Asthmaanfall rang sie nach Luft, und die Zeitungsfrau, ansonsten ungemein apathisch, betäubt von Druckerschwärze wie ihrem eigenen Mief, fragte, ob ihr wohl schlecht geworden und die Feuerwehr zu rufen sei.
    «Nein, nein, nur das schwüle Wetter plötzlich…! Ich überlege gerade mal, was ich…»
    Jessica überflog die ausgelegten Boulevardzeitungen und fand für einen Augenblick Ablenkung in deren Überschriften: Totes Liebesmädchen mit letztem Freund in einem Sarg – Sie: AIDS! Er: Kopfschuß! So Bild und BZ fast gleichlautend.
    Sie las, daß ein gewisser Bernhard Grobelny, 35, Geschäftsführer einer etwas zwielichtigen Nobel-Bar in der Westfälischen Straße in Halensee und von seinen Freunden «Grobi» genannt, offenbar liquidiert worden war. Klopft die Mafia nun auch an unsere Tür? Da sie den Spitznamen des Mannes ebenso in Anführungszeichen gesetzt hatten wie im Artikel nebenan die «DDR», mußte sie automatisch an Corzelius denken. Es wäre an sich seine Geschichte gewesen, doch er hatte sich allzuleicht von den alten Platzhirschen wegbeißen lassen, war heute, trotzig wie ein Kind und ziemlich larmoyant, mit seiner Wandergruppe in die DDR gezogen, anstatt hier vor Ort zu kämpfen.
    Sie gab sich einen Ruck.
    «Alle Programmzeitschriften der nächsten Woche… bitte!»
    Endlich war es heraus. Sie hatte der Zeitungsfrau nicht ins Gesicht sehen, dessen Farbe nicht ertragen können, wie ausgekotzter Labskaus, war beim Sprechen mit dem Kopf nach unten getaucht, weit in den Kinderwagen hinein, hatte Yemayás rosa Deckchen geglättet.
    «Was denn: alle…!?»
    «Alle, ja…»
    Gleich würde die fette Wachtel die Tür ihres stinkigen Kabuffs aufreißen, auf sie einstürmen, sie umarmen. Frau Criens, toll, Sie sind ja da wirklich überall drin! Nein, daß ich auf meine alten Tage noch eine so prominente Kundin habe! Hier, hier hab ich ‘n Foto von Ihnen, wenn Sie mir da bitte mal ein Autogramm…?
    Sollte sie das alles genießen, sollte sie es fürchten, was da auf sie zukam? War sie schon über alle Maßen neurotisch oder nur insoweit, wie es der Karriere diente?
    Yemayá hustete kurz und trocken, ohne aber davon richtig wach zu werden, und Jessica erschrak, dachte sofort an den Kruppschen Husten und das ganze Elend und den Notarzt, mit Blaulicht ab ins Krankenhaus, verdrängte aber alles schnell. So schlimm wurde es ganz sicher nicht.
    Es schmerzte sie, daß ihre Zeitungsfrau mit keinem Wort auf sie und ihren großen Film zu sprechen kam, und gleichzeitig ließ es sie aufatmen. Sie war nicht in der Lage, es in Worte zu fassen, aber sie fühlte es, daß man nackt und bloß dastand und sehr verletzlich wurde, wenn man zu den Prominenten zählte.
    Sie bekam alles – Gong, HÖR ZU, BILD + FUNK, Fernsehwoche, FUNKUHR, TV HÖREN und SEHEN und anderes mehr – auf die ausgelegten Stapel von BILD, BZ und Berliner Morgenpost geworfen und hatte mehr als zehn Mark zu zahlen, verstaute das ganze bunt bedruckte Papier in das kleine Körbchen zwischen den hohen Rädern ihres Kinderwagens und suchte im selben Augenblick auch schon nach einer Gelegenheit zum Sitzen und Lesen. Schnell gehen mußte das, war wie eine aufgestaute orgiastische Lust, ein Brennen, ein Fiebern, ein Schmerz, ein absolutes Muß. Jetzt gleich, keine Sekunde mehr warten!
    Sie eilte über den Platz, den Breitscheidplatz hinweg, am braunen Marmorbrunnen, dem «Wasserklops» vorbei, fand am Fuße der Gedächtniskirche auf einer der runden Edelholzbänke schließlich einen freien Platz, sank nieder und riß die Zeitschriften unter dem Kinderwagen hervor.
    Ihre erste große Fernsehrolle.
    Jessica Criens – eine Weltkarriere begann in Berlin.
    Wo war ihr Fernsehspiel, wo sie?
    Im Fieber fetzte sie die Seiten auseinander, sah sich, glaubte es nicht.
    Träume, Halluzinationen. Alles so unmöglich wie ein zweiter Erdenmond, urplötzlich am Himmel, oder daß der Boulevard, der Kudamm, der sich zu ihrer
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