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Bannkrieger

Bannkrieger

Titel: Bannkrieger
Autoren: Bernd Frenz
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Prolog
    Ein unüberschaubares Heer aus Fackelträgern tauchte Okdor in ein gewaltiges Lichtermeer. Die Alten erzählten, dass die natürliche Erhebung zwischen Tarba und den Giftsümpfen von Amyr schon seit Anbeginn aller Tage ein Ort gewesen sei, an dem sich die Menschen zu besonderen Anlässen versammelten. Unzählige freie Männer und Frauen hatten über Generationen hinweg einen spiralförmig verlaufenden Pfad in den Boden getreten, der die sanft ansteigende Kuppe genau neunundneunzig Mal umlief, bevor er am höchsten Punkt auf einem kreisrunden Platz endete.
    Zu Zeiten der Sonnenwende, wenn die Grenzen zum Reich der Toten durchlässig wurden, kamen an diesem Ort zahllose Gläubige zusammen, um Zwiesprache mit ihren Ahnen zu halten, aber noch nie zuvor hatte sich eine derartige Menschenmenge versammelt. Alle waren gekommen, um das Wunder, das die Schamanen im ganzen Land verkündeten, mit eigenen Augen zu sehen.
    Nicht nur auf den neunundneunzig Windungen drängten sich die Neugierigen, nein, das Fackelmeer reichte bis weit in die Ebene hinein. Neben zahlreichen Iskandern hatten auch Abordnungen aus Thyrm, Nekal und Uman die beschwerliche Reise auf sich genommen, um dem großen Pakt beizuwohnen, der in dieser Nacht geschlossen werden sollte.
    Ihr aller Interesse galt dem Dutzend Schamanen, das auf dem höchsten Punkt der Hügelkuppe beisammenstand. Dort, wo einst eine mächtige Eiche in den Himmel gewachsen war, deren gewaltiges Astwerk die gesamte Kuppe beschattet hatte, umstanden sie den traurigen Rest des vor zwei Generationen verdorrten Baums. Aus seinem Stamm hatten die heiligen Männer ein mächtiges Idol geschnitzt, ein grobes Abbild des EINEN, des großen Weltenschöpfers, den sie schon so lange anriefen, um Gerechtigkeit zu erlangen.
    Wenn es stimmte, was die Priester verbreiteten – und es gab keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln –, dann war den Beschwörungen endlich Erfolg beschieden worden. Dann hatte ihnen der Weltenschöpfer einen Urkrieger gesandt, der für sie und ihre Sache streiten und das Gold der Iskander einbringen sollte.
    Dies war keine von Natur aus besondere Nacht, sondern eine, die erst von den Priestern dazu gemacht wurde. Bis Mitternacht standen sie nur stumm um das übermannsgroße Idol herum, dessen schwarzes Holz kaum mehr als ein Schatten inmitten der Finsternis war. Auch das Lichtermeer vermochte ihn nur undeutlich aus dem Dunkel hervorzuschälen.
    Die Spannung, die über der wartenden Menge lastete, war längst mit Händen greifbar, als sie endlich ihren Kreis nach Norden hin öffneten und sich zu einem weitläufigen Bogen gruppierten, der die Statur des EINEN weiterhin umfasste. Sie alle trugen schwarze, mit Vogelfedern besetzte Umhänge, bis auf Aar, ihr gewähltes Oberhaupt, der sich mit seinen durch und durch schneeweißen Gewändern weithin sichtbar von den Übrigen abhob.
    Obwohl die wartende Menge schon seit Anbruch der Dämmerung stumm verharrte, hob er seine langen, durch die weiten Ärmel an Vogelschwingen gemahnenden Arme, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Vielleicht war es bloß Zufall, doch in diesem Moment verebbte die leichte Brise, die bisher über Okdor gestrichen war, und das Knattern der im Wind flackernden Fackeln verstummte.
    Auf einen Wink von Aar hin eilten zwei junge Burschen herbei, um den Scheiterhaufen neben den Priestern zu entzünden. Inmitten des Holzstapels ragte ein in den Boden gerammter Pfahl empor, an den ein Mann gefesselt war, der verschmutzten Uniform nach vermutlich ein Gardist aus Sipur, aber auf jeden Fall der einzige Überlebende einer barosischen Grenzpatrouille, der sich in diesem Moment sicherlich nichts sehnlicher wünschte, als zusammen mit seinen Kameraden gefallen zu sein.
    Bis zu dem Moment, da das Reisig zu seinen Füßen zu knistern begann, hatte sich der Todgeweihte seinem Schicksal ergeben und mit geschlossenen Augen vor sich hingedämmert. Doch als ihn die emporleckenden Flammenzungen immer stärker bedrängten, kehrte das Leben in seinen erschöpften Körper zurück.
    Verzweifelt begann er sich in den stramm sitzenden Fesseln zu winden. Ein Knebel verhinderte, dass er dabei um Hilfe schreien oder – weitaus schlimmer – böse Flüche gegen seine Peiniger ausstoßen konnte.
    Stattdessen durchbrach ein kehliger Gesang die Stille.
    Sofort richteten sich alle Blicke auf die ihn anstimmenden Priester sowie auf die Statur des Weltenschöpfers, die im Schein des auflodernden Scheiterhaufens unheilvoll glänzte. Aber die
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