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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Kopf.
    Verbrannte Haare, stinkendes Fleisch: eine Feuergirlande aus klebrig-heißer Plastik hatte ihn am Kopf gestreift, ein glühendes Eisen war ihm in den rechten Fuß gefahren, Stück eines umgestürzten Tisches.
    Ein Stuhl im Weg, er stolperte.
    Aus, alles aus.
    Das ist der Tod, so also.
    Fiel und kam noch einmal hoch, brach durch eine Wand aus Ruß und Flammen, mechanisch-unbewußt nur noch, hatte sich schon aufgegeben, und stand dann doch im Freien, auf der sommerhellen Schlüterstraße draußen, hatte Ewigkeiten gebraucht, viele Sonnen in Weltraumfernen besucht; und dennoch war, seit Vera das alles ausgelöst hatte, die große Explosion, kaum eine halbe Minute vergangen.
    Er konnte nicht fassen, daß es dieses Außen, dieses Draußen, diese Welt noch gab, daß sie noch immer so wie damals war, Urzeiten zuvor, als er sie verlassen hatte, staunte, kannte aber auch wieder dieses Gefühl seit langen Kindheitstagen: War eben noch Held eines phantastisch-wilden Films gewesen, kam nun durch einen Nebenausgang wieder aus dem Kino heraus, sah völlig fremde Wesen an der Kasse stehen.
    Was war real und was Fiktion?
    Wieso hielt er eigentlich ein Baby im Arm? Seine eigenen Kinder waren doch schon längst…? Neues aufblitzendes Erstaunen.
    Ein Bild, hineingeblendet: Er, zehn Jahre alt, in einem halb zerbombten Klassenzimmer, brav aus der Bank herausgetreten, sehr bemüht, aber dennoch leiernd:
    Erreicht den Hof mit Müh’ und Not; / In seinen Armen das Kind war tot.
    Er taumelte und fing sich wieder, beugte sich zu dem kleinen Gesichtchen hinunter… Dunkle Indio-Augen… Yemayá, kein Knabe, kein Erlkönig-Ritt. Sie schien ihn anzulächeln, dann schrie sie, schrie aus voller Leibeskraft.
    Alles eine Sache von nur Herzschlaglänge, doch in seiner Wahrnehmung zu Stunden gedehnt.
    Menschen sah er, eine Menschenmenge, kam sich vor, als stünde er mittendrin in einem großen Stadion, nahm mit seinen tränenden, furchtbar schmerzenden Augen alles nur halbblind-verschwommen wahr.
    Viele liefen auf ihn zu, und das erste Gesicht, das er erkennen, deuten, zuordnen konnte, gehörte Wuthenow.
    Noch ein anderes, doch Jessica nicht; zusammengebrochen war sie wahrscheinlich.
    Wuthenow, du hast mir alles eingebrockt, deinetwegen bin ich fast gestorben!
    Die Aggression.
    Wuthenow, ich hab nichts, und du hast alles: Jessica, den Ruhm, das Kind!
    Der Neid.
    Wuthenow, sieh her: Jetzt bin ich der Größte und nicht du; ich bin der Held!
    Sein Minderwertigkeitsgefühl.
    Oder war es nur Erschöpfung, nichts anderes, das Wissen, im nächsten Augenblick mit einem Kreislaufkollaps umzusinken?
    Jedenfalls lief er auf Wuthenow zu und reichte ihm das Baby hin.
    «Hier haben Sie…» Und nun ganz laut, geschrien: «Ihre Tochter, Wuthenow!»
    Tat das, obwohl er John F. dicht hinter Wuthenow gesehen hatte.
    Du bist ein Schwein!
    Nein, du bist ein wunderbarer Mensch: Du hast dein Leben opfern wollen, du hast das Kind gerettet!
    Ich kann nicht mehr!
    Mannhardt ließ sich auf das Pflaster fallen.
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