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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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seine Augen, seine Sinne wie mit schnellen Radarstrahlen vor- und seitwärts alles ab, suchten in den empfangenen Echos nach alarmierenden Zeichen. Trittbrettfahrer waren immer zu befürchten, Leute, die Yemayá nicht hatten, aber von der Existenz des Geldes in seinem Aktenkoffer irgendwie erfahren hatten. Oder Yemayá war schon tot und…
    Nein, so sah der Mann nicht aus, der jetzt an der Kreuzung Schlüter-/Mommsenstraße von der Ampel aufgehalten wurde: ein dünner Intellektueller mit verunglücktem Zangengeburtskopf und Brechtscher Nickelbrille, trotz des Körbchens unterm Kinderwagen mit roten Rucksackriemen auf den Schultern, fast so, als verfilmten sie gerade den Balduin Bählamm, Wilhelm Buschs verhinderten Dichter («Oh, wie beglückt ist doch ein Mann, / Wenn er Gedichte machen kann!»). Und dieser potentielle Stipendiat des renommierten Literarischen Colloquiums Berlin, ausgerechnet der sollte ein Kind gekidnappt haben; eine absurde Idee!
    Aber, siehe Wolf im Schafspelz, gerade das… Und unter Geldnot schien er auch zu leiden, sah sehr nach outlaw aus. Hatte vielleicht die vergleichsweise kleine Summe mit Bedacht gewählt, um Großaktionen zu vermeiden.
    Mannhardt blickte sich abermals nach allen Seiten um.
    Auf der anderen Straßenseite knastenge Fenster in einem Nazizeit-Bürogebäude, lösten Unbehagen aus, Ableger der Komplexe vom Fehrbelliner Platz und Tempelhofer Flughafen, großdeutsch, die Eingänge mit kantigen Steinen gefaßt. Dann eine schiefergraue Fassade, düster mit brückenlangen Bögen über den Baikonen, und am Eingang, wie ein Schuppenpanzer, reihenweise Firmenschilder, das Messing golden funkelnd, silbern alles Aluminium, ganz im Stil der alten Leipziger, der Friedrichstraße, wie ihm jedenfalls schien, barg auch eine Unterkunft mit Namen Oliva. Olivaer Frieden, wußte Mannhardt noch, Schweden gegen Polen, und beim Lesen des Wortes Pension mußte er automatisch an die eigene denken; wann denn endlich, großer Gott: bloß nicht!
    An der Hauswand dahinter mit schwarzer Farbe hingesprüht Hurra, ich bin genormt! Klang so, wie man es früher beim erhabenen Sterben den Leuten in den Mund gelegt hatte: Es ist vollbracht!
    Nirgendwo etwas, das alarmierend gewirkt hätte.
    Und auf seiner Bürgersteigseite…? Ein Laden: v. kloeden. bücher, spiele, spielzeug. Wohl Zentrum der deutschen kleinschreibung, dachte er, assoziierte kloeden auch mit Zürich-Kloten, wo er mal mit Lilo abgeflogen war, und mit Klütern, dicken Klumpen in den Mehlsuppen aus Kriegs- und Blockadezeiten, und Klöten: Mann, tun mir die Klöten weh! Wenn man beim Fußballspielen auf der Straße den Ball mit voller Wucht in den Unterbauch gekriegt hatte. Folgte ein größerer Spirituosenhandel, auffällig durch einen dicken roten Punkt und ein frohes Mundartbekenntnis: Ick koof bei Lehmann. Schließlich, nach einer eher langweiligen Schnellreinigung, ganz in Weiß ein coiffeur , Bernd F.
    Und vor diesem fast schon mondänen Figaro-Eck war der Mann mit dem Kinderwagen nun stehengeblieben, wartete ganz offensichtlich auf etwas oder wen.
    Mannhardt ging («Augen zu und drauf!») mit mechanisch-steifen Schritten auf den Kinderwagen zu, warf einen schnellen Blick hinein («Baby: ja, Mädchen: wahrscheinlich…») und sah den blassen Mann («Drogen und Alk, langer Entzug!») mit bemühtem Lächeln an: «Entschuldigen Sie, ich suche ein Lokal mit Namen Cuba libre…?»
    «Wie…?»
    Mannhardt erschrak: Eiskalte Legionärsaugen starrten ihn an, draculalange Eckzähne schnitten sich in eine schorfbedeckte Unterlippe, Spinnenhände spielten auf dem Kinderwagengriff.
    «Entschuldigen Sie, ich suche ein Lokal mit Namen Cuba libre…?» wiederholte Mannhardt, nachdem er einen Schritt zurückgewichen war, memorierte auch zugleich den zu erwartenden Erkennungssatz des anderen: Nehmen Sie das hier aus Kuba…
    Doch der kam nicht, statt dessen ein herzhaftes Lachen des anderen und die herausgeprustete Frage, ob er ihn denn wirklich nicht kennte, kannte, wiedererkennen würde? Nein. Es war, stellte sich heraus, Dr. Meier-Vehlefanz, ehemaliger Berlin-Hermsdorfer Deutschlehrer seines Sohnes wie auch seiner Tochter, im hohen Alter von vierundvierzig Jahren noch einmal, wenn auch versehentlich Vater geworden, als guter, herzensguter Pädagoge von seinen Schülern verehrt, nur von der nächtens ewig schreienden Tochter augenblicklich geschafft.
    «Herr Meier-Firlefanz», sagte Mannhardt, etwas durcheinander, und fügte schnell ein kursiv gesprochenes
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