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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Amanda Kyle Williams
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Mal an, dass sie etwas unsicher wurde. Ich sah Unruhe in ihren dunklen Augen, als sie erst den Aktenkoffer und dann mich ansah, ihr Blick zu meinen Händen schweifte und schließlich zur Küchentür. Irgendetwas in ihr alarmierte sie und bat um Aufmerksamkeit, eine leise Stimme, die ihr sagte, schnell die Flucht zu ergreifen. Aber sie hörte nicht darauf. Die Menschen hören nie darauf. Im Grunde ist es vollkommen absurd. Sie wollen mich nicht vor den Kopf stoßen. Was, wenn sie sich irrten? Das wäre ihnen unglaublich peinlich.
    Ich schloss die Augen und atmete ein. Unter dem Essensgeruch und der Hitze nahm ich ihn schließlich wahr, den zwiebeligen Duft der Angst, ihrer und meiner, der schwer in der Luft hing. Er traf mich wie ein Stromschlag. Die Hormone spielten verrückt, mein Herz pochte wild bei dem Gedanken an das, was gleich geschehenwürde. Ich spürte ein tiefes und drängendes Brennen zwischen den Beinen. Ich konnte nur noch diese kleine Frau sehen. Nichts anderes konnte ich riechen, nicht anderes wollte ich. Sie war alles.
    Ich streifte mir enge Latexhandschuhe über, so dünn, dass ich mit den Fingerspitzen beinahe die Luft spüren konnte, und nahm dann mein Lieblingsspielzeug aus dem Aktenkoffer: einen Krummdolch mit mattiertem Weißgoldschaft und einer zwölf Zentimeter langen Stahlklinge. Ich betrachtete ihren schmalen Rücken, während sie dastand und in ihrem Kohl rührte, und fragte mich, ob sie die Verbindung zwischen uns bereits spürte. Ich wollte, dass sie sie spürte, dass sie es
wusste
, einen kurzen Moment, bevor meine Hand sie berührte.
    Ich glaube, sie wusste es. Ich glaube, sie wollte es.
     
    D as Viertel zwischen Virginia-Highlands und Little Five Points in Atlanta ist sehr angesagt. Meine kleine Detektei befindet sich an der Highland Road in einer Reihe ehemals vergessener Lagerhäuser. Vor ein paar Jahren entschloss sich der Eigentümer, die Außenfassaden zu renovieren und im hellen Miami-Art-déco-Stil, mit viel Glas und Metall, zu gestalten. Jetzt nennen sich die Gebäude
Studios,
die Wohnungen heißen jetzt
Lofts
. Die Miete für die bisherigen Bewohner stieg in die Höhe – also für mich, die schwule Theatergruppe nebenan, den Tätowierer und Piercer mit den S/​ M-Aufklebern auf seinem Jeep daneben und die indische Friseuse am Ende. Die Renovierung würde unsere Geschäfte ankurbeln, sagte man uns. Wir würden mehr Laufkundschaft haben, jetzt, wo die Gebäude auch Leute aus den nahen Cafés anzögen, die dort Espresso trinken und Biscotti essen. Ich hasse Biscotti. Also wirklich, wer steht denn auf diese harten Kekse? Und Laufkundschaft hasse ich auch. Meistens handelt es sich umvöllig Verrückte. Menschen mit ein bisschen Grips im Kopf machen keinen Schaufensterbummel, um einen Detektiv zu finden.
    Aber das Viertel mag ich. Wenn die Theatergruppe probt, ertappe ich mich dabei, wie ich den ganzen Tag Revuelieder summe, und wenn ich bis spät am Abend gearbeitet habe, treffe ich manchmal auf kostümierte Schauspieler, die vor dem Haus rauchen und plaudern. Neulich beobachtete mich eine Frau in einem Nixenkostüm. Sie hatte eine Zigarette zwischen den Lippen und betrachtete mich durch den Qualm, sagte aber nichts. Ich auch nicht. Was soll man zu einer schwulen Nixe sagen? Eine Kreidetafel kündigte Proben für
Swishbucklers
an.
    Der Haarsalon zwei Türen weiter läuft ruhig und während der normalen Geschäftszeiten. Die Besitzerin verabscheut zutiefst Begriffe wie Friseuse, Haarschneiderin oder, Gott bewahre, Kosmetikerin und lässt jeden wissen, dass sie
Haarkünstlerin
genannt werden möchte. Außerdem hat sie kürzlich von ihrem Guru einen neuen spirituellen Namen verliehen bekommen und würde es sehr gerne sehen, wenn ihre Nachbarn dies respektierten, was wir tatsächlich versuchen. Doch der Wechsel vom schlichten Mary zu Lakshmi fällt uns manchmal etwas schwer. Der Name bedeutet in etwa Göttin des Wohlstands, und jeder Nachbar hofft inständig, dass an dem Namen etwas dran sein möge und das Glück uns endlich hold ist.
    Mein Büro befindet sich in Studio A, auf einem kleinen Schild an der Tür steht: AUSKÜNFTE & ERMITTLUNGEN. Drinnen erzeugen die Computer, Drucker, ein paar alte Faxgeräte, die Leuchtstoffröhren und eine riesige Klimaanlage ein konstantes Brummen, das ich manchmal noch höre, wenn ich nachts die Augen schließe.
    Ich habe die Detektei vor ein paar Jahren gegründet, nachdem ich blinzelnd aus der Entzugsanstalt kam, so als hätte ich drei Monate
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