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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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Kinderbett hatte er vom Speicher geholt, in dem Jeanette vor Jahren selbst
noch geschlafen hatte. Gegen Ende der Schwangerschaft war er mit ihr zu
Wal-Mart gefahren, um ein paar Sachen zu holen, die sie brauchen würde -
Strampelanzüge und eine kleine Plastikwanne und ein Mobile zum Aufziehen, das
über dem Bettchen hängen sollte. Er hatte in einem Buch gelesen, dass Babys
solche Sachen brauchten, Sachen zum Anschauen, damit ihr kleines Gehirn in Gang
kam und anfing, ordentlich zu arbeiten. Von Anfang an dachte Jeanette bei dem
Baby immer an »sie«, denn im Grunde ihres Herzens wünschte sie sich ein Mädchen,
aber sie wusste, dass man so etwas niemandem sagen durfte, nicht einmal sich
selbst durfte man das eingestehen. Im Krankenhaus drüben in Cedar Falls hatte
sie eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Als die Frau in dem geblümten
Kittel mit dem kleinen Plastikpaddel über ihren Bauch strich, hatte sie sie
gefragt, ob sie sehen könne, was es war. Aber die Frau hatte nur gelacht, auf
den Monitor mit Jeanettes vor sich hinträumendem Baby geschaut und gemeint: Honey,
dieses Baby ist schüchtern. Bei manchen kann man es sehen, bei andern wieder
nicht, und das hier ist eins von den Letzteren. Deshalb
wusste Jeanette es nicht, und es war ihr auch recht. Nachdem sie und ihr Vater
das Zimmer ihres Bruders ausgeräumt und seine alten Wimpel und Poster von den
Wänden genommen hatten - Jose Canseco, eine Band namens Killer Picnic, die Bud
Girls -, sahen sie, wie verschossen und verschrammt die Wände waren, und sie
strichen sie mit einer Farbe, die »Dreamtime« hieß und die irgendwie eine
Mischung aus Rosa und Blau war - passend für Babys beiderlei Geschlechts. Ihr
Vater klebte eine Tapetenbordüre oben an die Wand, ein gleichförmiges Muster
aus Enten, die in einem Tümpel plantschten, und polierte den alten
Schaukelstuhl aus Ahorn, den er bei einer Versteigerung ergattert hatte.
Jeanette sollte schließlich auch etwas haben, wo sie sitzen und die Kleine im
Arm halten konnte.
    Das Baby kam im Sommer; es war ein Mädchen, wie
sie es sich gewünscht hatte, und wurde Amy Harper Bellafonte genannt. Reynolds
stand als Name nicht zur Debatte - der Nachname eines Mannes, den Jeanette
vermutlich nie wiedersehen würde und den sie jetzt, da Amy da war, auch gar
nicht mehr wiedersehen wollte. Und Bellafonte - einen besseren Namen konnte
man gar nicht haben. Es bedeutete »schöne Quelle«, und genau das war Amy auch.
Jeanette fütterte und wiegte sie und wechselte ihre Windeln, und wenn Amy
mitten in der Nacht weinte, weil sie nass oder hungrig war oder Angst vor der
Dunkelheit hatte, dann stolperte Jeanette durch den Flur zum Kinderzimmer, ganz
gleich, wie spät es war oder wie müde sie nach der Arbeit im Diner war. Und sie
nahm die Kleine auf und sagte, sie sei da und sie werde immer für sie da sein:
Wenn du weinst, komme ich gerannt, das ist der Deal zwischen uns beiden,
zwischen dir und mir, für immer und ewig, meine kleine Amy Harper Bellafonte.
Dann hielt sie sie auf dem Arm und wiegte sie, bis die Jalousien in der
Morgendämmerung fahl wurden und sie in den Ästen der Bäume draußen die Vögel
singen hörte.
    Mit einem Mal war Amy drei, und Jeanette allein.
Ihr Vater war gestorben, an einem Herzinfarkt, sagte man ihr, oder vielleicht
an einem Schlaganfall. Niemand nahm das so genau. Was immer es war, es traf ihn
eines Wintermorgens in aller Früh, als er zu seinem Truck ging, um zur Arbeit
im Silo zu fahren; er hatte gerade noch Zeit, seinen Kaffee auf den Kotflügel
zu stellen, bevor er tot umfiel. Er verschüttete keinen Tropfen. Sie arbeitete
immer noch im Diner, aber plötzlich reichte das Geld nicht mehr, nicht für Amy
und sie zusammen, und ihr Bruder, der irgendwo bei der Navy war, beantwortete
ihre Briefe nicht. Gott hat den Staat Iowa
geschaffen, hatte er immer gesagt, damit
man wieder von dort abbauen kann. Sie wusste nicht, was
sie tun sollte.
    Da kam eines Tages ein Mann in das Lokal. Es war
Bill Reynolds. Er war irgendwie verändert, aber nicht zum Besseren. Der Bill
Reynolds, an den sie sich erinnerte - und sie musste zugeben, dass sie von Zeit
zu Zeit immer noch an ihn dachte, an Kleinigkeiten hauptsächlich: wie sein
aschblondes Haar beim Sprechen in die Stirn fiel, oder wie er über seinen
Kaffee blies, bevor er einen Schluck trank, selbst wenn er gar nicht mehr heiß
war -, dieser Bill Reynolds hatte etwas an sich, so etwas wie ein warmes Licht
von innen heraus, in dessen Nähe man gern
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