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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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wieder zurück.
    Er schwieg einen Moment, saß da mit beiden
Händen auf dem Lenkrad, und als sie sein Gesicht anschaute und sah, was da in
seinen Augen war, diese langsam anschwellende, wilde Gier, erschien er ihr
plötzlich nicht mehr ganz so sehr wie ein netter Junge.
    Das, sagte er, kommt
nicht in Frage. Es steht heute sozusagen nicht auf der Speisekarte.
    Du kannst mich mal.
    Sie stieß die Tür des Wagens auf und wollte
weglaufen, auch wenn sie nicht wusste, wo sie war, aber dann war er auch
draußen und packte sie grob am Arm. Jetzt war ziemlich klar, was sie in dem
Haus erwartete, was er wollte und wie sich das alles entwickeln würde. Sie war
selbst schuld, dass sie es nicht gleich begriffen hatte - schon viel früher,
vielleicht schon in dem Diner an dem Tag, als Bill Reynolds hereingekommen
war. Sie erkannte, dass der Junge auch Angst hatte - dass jemand ihn zwang,
dies zu tun, seine Freunde in dem Haus. Zumindest empfand er es jedenfalls so.
Aber das war ihr egal. Er drängte sich hinter sie und wollte den Arm um ihren
Hals schlingen, um sie in den Schwitzkasten zu nehmen, und sie schlug mit den
Faustknöcheln hart zu - dahin, wo es wehtat -, und er schrie auf und nannte sie
ein Dreckstück und eine Nutte und schlug ihr ins Gesicht. Sie verlor das
Gleichgewicht und fiel rückwärts hin, und dann war er über ihr, saß rittlings
auf ihren Hüften wie ein Jockey auf seinem Pferd und ohrfeigte und schlug sie
und versuchte, ihre Arme festzuhalten. Wenn ihm das gelänge, wäre alles aus.
Wahrscheinlich war es ihm egal, ob sie bei Bewusstsein war oder nicht, wenn er es
täte; keinen von ihnen würde es interessieren. Sie griff in die Handtasche, die
neben ihr im Gras lag. Ihr Leben kam ihr fremd vor, als wäre es gar nicht mehr
ihr eigenes, wenn es das je gewesen war. Aber auf einen Revolver war Verlass,
und sie spürte, wie das kühle Metall der Waffe in ihre Handfläche glitt, als
wollte es dort sein. Ihr Verstand sagte: Überleg
nicht lange, Jeanette, und sie drückte dem
Jungen die Mündung seitlich an den Kopf und spürte die Haut und den Knochen,
wo sie ihn berührte, und sie dachte sich, dass es nah genug war, um nicht
danebenzuschießen, und dann drückte sie ab.
     
    Sie brauchte die ganze Nacht für den Heimweg.
Als der Junge von ihr heruntergekippt war, war sie so schnell, wie sie konnte,
zur nächsten großen Straße gelaufen, die sie sehen konnte, breit und mit einem
Grünstreifen, leuchtend im Licht der Laternen, und dort erwischte sie gerade
noch einen Bus. Sie wusste nicht, ob sie Blut an den Kleidern hatte, aber der
Fahrer sah sie ohnehin kaum an, als er ihr erklärte, wie sie zum Flughafen
zurückkam, und dann setzte sie sich in die letzte Reihe, wo niemand sie sehen
konnte. Der Bus war fast leer. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Der Bus
kroch durch endlose Viertel mit Wohnhäusern und Geschäften, vorbei an einer
großen Kirche und dann an den Wegweisern zum Zoo, bis er schließlich in die
Innenstadt kam. In einem Wartehäuschen aus Plexiglas stand sie fröstelnd in der
klammen Kälte und wartete auf einen zweiten Bus. Sie hatte ihre Uhr verloren
und wusste nicht, wie spät es war. Vielleicht war sie bei dem Kampf abgerissen,
sodass die Polizei jetzt eine Spur hatte. Aber es war nur eine Timex, die sie
im Walgreens Drugstore gekauft hatte, und vermutlich würde sie nicht viel
verraten. Der Revolver aber schon. Sie hatte ihn auf den Rasen geworfen;
jedenfalls hatte sie es so in Erinnerung. Ihre Hand war immer noch ein bisschen
taub von der Wucht, mit der er losgegangen war. Die Knochen vibrierten wie eine
Stimmgabel, die nicht zur Ruhe kam.
    Als sie am Motel ankam, ging schon die Sonne
auf. Sie spürte, wie die Stadt erwachte. Im aschgrauen Licht schloss sie die
Zimmertür auf. Amy schlief bei laufendem Fernseher; in einem Infomercial für
irgendeine Trainingsmaschine sah man einen muskelbepackten Mann mit einem
Pferdeschwanz und einem großen Mund, der aussah wie eine Hundeschnauze.
Lautlos bellte er auf dem Bildschirm. Jeanette vermutete, dass sie nicht mehr
als zwei Stunden Zeit hätte, bevor jemand käme. Es war dumm von ihr gewesen,
die Waffe einfach liegen zu lassen, aber es hatte keinen Sinn, sich darüber
jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Sie wusch sich das Gesicht und putzte sich
die Zähne, ohne sich im Spiegel anzusehen, und dann zog sie sich um; sie zog
Jeans und ein T-Shirt an und brachte die alten Kleider - den kurzen Rock und
das Stretch-Top und die Fransenjacke -, die
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