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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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zwischenzeitlich konnte man im Rückspiegel die
Schrauben und Nieten über den Asphalt kullern sehen.
    Als sie wenige Tage später am Quick Mart
anhielt, um eine Packung Capri zu kaufen, sprang der Motor nicht mehr an, und
sie fing an zu weinen. Eine halbe Stunde lang saß sie da und weinte und konnte
nicht mehr aufhören.
    Das Problem war die Batterie. Eine neue kostete
dreiundachtzig Dollar bei Sears. Inzwischen hatte sie eine Woche nicht
gearbeitet und außerdem ihren Job im Diner verloren. Sie hatte gerade noch
genug Geld, um ihre Sachen in ein paar Einkaufstüten und die Kartons zu packen,
die Bill zurückgelassen hatte, und zu verschwinden.
    Niemand erfuhr je, was aus ihnen geworden war.
Das Haus stand leer; die Leitungen froren zu und platzten wie überreifes Obst.
Als der Frühling kam, lief tagelang das Wasser heraus, bis die Wasserwerke
merkten, dass niemand die Rechnung bezahlte, und zwei Männer schickten, die es
abdrehten. Die Mäuse zogen ein, und als bei einem Sommergewitter ein Fenster im
oberen Stockwerk zerbrach, auch die Schwalben. Sie bauten ihre Nester in dem
Zimmer, in dem Jeanette und Amy in der Kälte geschlafen hatten, und bald war
das Haus erfüllt vom Lärm und Geruch der Vögel.
    In Dubuque arbeitete Jeanette in der
Nachtschicht an einer Tankstelle. Amy schlief auf einem Sofa im Hinterzimmer,
bis der Eigentümer es herausbekam und sie rauswarf. Es war Sommer; sie
schliefen im KIA und wuschen sich in der Toilette hinter der Tankstelle, und so
brauchten sie nur wegzufahren. Eine Zeitlang kamen sie bei einer Freundin in Rochester
unter, die Jeanette aus der Schule kannte; sie war dort hinaufgezogen, um
Krankenschwester zu werden. Jeanette bekam einen Job als Putzfrau in dem
Krankenhaus, in dem die Freundin arbeitete, aber nur zum Mindestlohn, und das
Apartment der Freundin war zu klein für sie alle. Sie zog in ein Motel, doch
dort gab es niemanden, der sich um Amy kümmern konnte, und so schliefen sie
schließlich wieder in dem KIA. Es war September, und es wurde kühl. Im Radio
war die ganze Zeit die Rede vom Krieg. Sie fuhr nach Süden und kam bis Memphis,
als der KIA endgültig den Geist aufgab.
    Der Mann, der sie mit seinem Mercedes auflas,
sagte, sein Name sei John, und die Art, wie er es sagte, ließ sie vermuten,
dass er log wie ein Kind, das nicht zugeben wollte, wer die Lampe kaputt
gemacht hatte - er taxierte sie einen Augenblick lang, bevor er sie ansprach. Ich
heiße ... John. Sie schätzte ihn auf fünfzig, aber sie
hatte keinen guten Blick für so was. Er hatte einen sauber gestutzten Bart und
trug einen dunklen Anzug, wie ein Bestattungsunternehmer. Beim Fahren warf er
immer wieder einen Blick auf Amy im Rückspiegel, schob sich auf seinem Sitz
zurecht und stellte Jeanette Fragen: wohin sie wolle, was sie gern tue, und was
sie ins herrliche Tennessee geführt habe. Der Wagen erinnerte sie an Bill
Reynolds' Pontiac Grand Prix; er war nur noch schöner: Bei geschlossenen
Fenstern hörte man kaum etwas von draußen, und die Sitze waren so weich, dass
es sich anfühlte, als säße sie in einer Schale Eiscreme. Am liebsten wäre sie
eingeschlafen. Als sie vor dem Motel hielten, kümmerte es sie kaum noch, was
passieren würde. Es erschien unausweichlich. Sie waren in der Nähe des
Flughafens; das Land war flach wie in Iowa, und in der Dämmerung sah sie die
Lichter der Flugzeuge, die in langsamen, verschlafenen Bögen darüber kreisten.
    Amy, Süße, Mama wird mit diesem netten Mann kurz
da hineingehen, okay? Schau dir doch so lange dein Bilderbuch an, Schätzchen.
    Er war höflich, nannte sie Baby und so weiter,
und bevor er ging, legte er fünfzig Dollar auf den Nachttisch - genug für
Jeanette, um die Übernachtung für sie und Amy zu bezahlen.
     
    Aber andere waren weniger nett.
    Abends schloss sie Amy im Zimmer ein und ließ
den Fernseher als Geräuschkulisse laufen, und dann stellte sie sich draußen
vor dem Motel an den Highway, stand da einfach irgendwie herum, und es dauerte
nie lange, bis jemand anhielt, immer ein Mann, und sobald sie sich geeinigt
hatten, nahm sie ihn mit ins Motel. Bevor sie ihn ins Zimmer ließ, trug sie Amy
schnell ins Bad, wo sie ihr aus ein paar Extradecken und Kissen ein Bett in
der Badewanne gemacht hatte.
    Amy war sechs. Sie war still und redete die
meiste Zeit kaum ein Wort, aber sie hatte sich lesen selbst beigebracht, indem
sie immer wieder dieselben Bücher angeschaut hatte, und sie konnte auch rechnen.
Einmal schauten sie »Glücksrad«,
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