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Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Titel: Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)
Autoren: Kera Jung
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gelang es nicht mehr, bestimmte Dinge mit einem milden Lächeln zu überspielen. Dann war man geliefert.
    Auch dahinter kam Andrew bald.
    Er begriff ohnehin ziemlich schnell. Mit seinen sieben Jahren wusste er bereits genau, wie das Leben lief. Alles in allem gesehen, stellte es eine Aneinanderreihung von harten Kämpfen dar, während man mit wachsender Verzweiflung darauf wartete, endlich für immer gehen zu dürfen. Darüber hinaus blieb man am besten allein. Mit sich selbst hatte man bereits genug zu tun.
    Eine Erkenntnis jedoch stand über allen anderen:
    Andrew konnte sich nur auf sich selbst verlassen.
    Das störte ihn nicht etwa, im Gegenteil: Längst lebte er ausschließlich in seiner eigenen kleinen Welt. So konnte ihn wenigstens niemand durcheinanderbringen . Das war die schlimmste Gefahr überhaupt. Solange er sich konzentrierte, hatte er eine Chance. Aber wenn andere begannen, in seinem Leben herumzupfuschen, dann wurde es echt brenzlig.
    Warum es ihm immer schlechter ging, konnte er nicht sehen. Zu klein, gefangen in seinen Ängsten und seiner hoffnungslosen Existenz, war er viel zu blind, um das zu erkennen.
    Es war nicht die Sehnsucht nach seiner Mutter. Da war Andrew ganz Realist, die würde wohl nicht wiederkommen. Auch wenn das seinen Schmerz nicht beseitigte. Zunehmend bezweifelte er, dass sie überhaupt jemals dagewesen war. Denn es gab keine Fotos von ihr, im Haus erinnerte nichts an ihre Existenz, nie wurde von ihr gesprochen oder ihr Grab besucht.
    Manchmal, wenn er allein war, begann er, die Schränke seiner Eltern zu durchwühlen und wurde dabei immer verzweifelter. Denn sie war weg.
    Verschwunden!
    Hatte er sie vielleicht nur geträumt?
    Er litt auch nicht exorbitant unter der ständigen Müdigkeit. Damit hatte er sich längst arrangiert, außerdem gewöhnte sich der Mensch irgendwann zwangsläufig an alles.
    Andrew litt unter seiner Einsamkeit.
    Es gab niemandem, mit dem er sprechen oder dem er sich anvertrauen konnte. Keiner war da, der ihn aufhielt, wenn er drohte, einfach aufzugeben. Niemand sagte ihm, was er tun sollte, wenn er wie so häufig ratlos war. Er war nur ein Junge, ein Zweitklässler an der Junior Highschool. Er wusste viel, doch leider nicht genug.
    Andrew hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wenn er bei Gibbs versagte und anstatt eines A+ nur ein B nach Hause brachte.
    Geschah das häufiger, würde es Fragen geben und Beschwerden bei den Eltern. Andrew würde möglicherweise wieder diesen besorgten Blicken ausgesetzt sein, man würde „mit ihm reden“ wollen, seinen Tagesablauf, ihn durcheinanderbringen. Und genau das musste er doch aber unbedingt vermeiden!
    Als er vor einigen Jahren feststellte, dass aus dem Sterben so schnell wohl nichts werden würde, hatte er sein Leben ganz einfach geregelt:
    Andrew machte Pläne.
    Es existierte ein kleines Buch, in dem er sie erstellte, um dann jede erledigte Position sorgfältig abzustreichen.
    Eine Zeitlang funktionierte es. Es war ein gutes Gefühl, am Ende des langen Tages jeden einzelnen Punkt mit einem dicken Strich versehen zu haben. Lediglich die Zeiten des Aufwachens variierten geringfügig. Ansonsten glich ein Tag so ziemlich dem anderen.
    Doch in letzter Zeit hielt er sich immer seltener an seine Vorgaben. Er lag zum Beispiel immer noch im Bett, obwohl er bereits intensiv mit der Planerfüllung beschäftigt sein musste.
    Die ersten beiden Positionen hatte er ja noch bedient:
    3:00 am ---- wach werden.
    3:05 am ---- langsam wieder zu Luft kommen – wenn er wieder einmal nicht gestorben war ...
    Danach hinkte er so ziemlich im Plan hinterher. Denn der nächste Punkt lautete:
    3:06 am ---- aufstehen!
    Andrew lag jedoch immer noch im Bett. Sooft er auch in sich hineinlauschte, er verspürte nicht das geringste Bedürfnis, es zu verlassen.
    Und genau das war der springende Punkt!
    Er hatte nie auch nur den leisesten Wunsch, irgendetwas von dem zu tun, was gerade auf der Tagesordnung stand. Doch im Normalfall tat er es trotzdem.
    Irgendwie musste die ganze Geschichte ja funktionieren. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er möglicherweise den ganzen Tag nutzlos in einer Zimmerecke gesessen.
    Nur ... von ihm wurde verlangt, dass er etwas tat .
    Tat er wenig, behielten sie ihn im Auge . Je mehr er sich sinnvoll beschäftigte, desto geringer wurden die Kontrollen. Tat er alles selbstständig, gelang es ihm selbst als Siebenjähriger, ein relativ unabhängiges Leben zu führen.
    Sein Dad interessierte sich ohnehin nicht für
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