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Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Titel: Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
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I
     
    Die Nacht war warm und von einem so schweren Duft erfüllt, wie dies nur bei einer römischen Sommernacht der Fall sein kann. Über dem dunklen Innenhof des Lateranpalasts lag das bittersüße Aroma der in den gepflegten Rabatten wachsenden Kräuter; in der Schwüle war der aufdringliche Geruch nach Basilikum und Rosmarin kaum zu ertragen. Der junge Offizier der Palastwache hob die Hand, um sich die Schweißtropfen abzuwischen, die sich unter dem Visier des Bronzehelms auf seiner Stirn gesammelt hatten. Trotz der Hitze wußte er, daß ihm sein grobwollener, lose über die Schultern hängender sagus in den kühlen Stunden vor der Morgendämmerung gute Dienste leisten würde.
    Die einzige Glocke der nahe gelegenen St.-Johannes-Basilika schlug Mitternacht, die Stunde des Angelus. Pflichtbewußt murmelte der junge Offizier das vorgeschriebene Gebet: « Angelus Domini nuntiavit Mariae … Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft …» Er murmelte, ohne nachzudenken, ohne Gefühl für die Worte oder den Sinn der Sätze, und vielleicht lag es gerade an dieser mangelnden Aufmerksamkeit, daß ihm trotz des Gebets das verdächtige Geräusch nicht entging.
    Obgleich die Tenorglocke unbeirrt weiterläutete und der kleine Brunnen in der Mitte des Innenhofs stetig plätscherte, hatte er es ganz deutlich vernommen: das Scharren weicher Lederschuhe auf den Pflastersteinen. Der junge custos runzelte die Stirn und neigte angestrengt lauschend den Kopf, um herauszufinden, aus welcher Richtung es gekommen war.
    Er war sich sicher, daß er von der anderen Seite des von dunklen Schatten erfüllten Innenhofs schwere Schritte gehört hatte. «Wer da?» fragte er.
    Er erhielt keine Antwort.
    Vorsichtig zog er sein Schwert, das breite gladius , mit dem die berühmten römischen Legionen einst den Völkern der Welt ihren Willen aufgezwungen hatten. Aber das war jetzt Vergangenheit. Inzwischen verteidigte dieses Schwert die Sicherheit eines Palasts, in dem kein Geringerer residierte als der Bischof von Rom, der Heilige Vater der einzigen christlichen Kirche – Sacrosancta Laternensis ecclesia, omnium urbis et orbis ecclesiarium mater et caput. «Wer da? Zeigt Euch!» befahl er mit barscher Stimme.
    Wieder bekam er keine Antwort, jedoch … ja, ganz deutlich vernahm der junge Offizier jetzt hastig davoneilende, schlurfende Schritte. Jemand flüchtete aus dem Innenhof in einen der dunklen Gänge, die in andere Teile des Palasts führten. Der custos verfluchte die undurchdringliche Finsternis, als er rasch über das Pflaster lief, um in den fraglichen Gang zu spähen. In der Dunkelheit konnte er jedoch nur eine geduckt davonhuschende Gestalt erkennen.
    «Halt! Stehenbleiben!» rief er, wobei er versuchte, möglichst herrisch zu klingen.
    Die Gestalt begann zu rennen, so daß ihre flachen Sandalen laut auf die Pflastersteine klatschten.
    Der custos vergaß seine soldatische Würde und stürmte hinterher. Obwohl er jung und wendig war, schien sein Gegner ihm an Geschicklichkeit überlegen zu sein, denn als er das Ende des Durchgangs erreichte, war von dem Verfolgten nichts mehr zu sehen. Der Gang mündete in einen größeren Innenhof, der, anders als der kleinere Hof, in dem der junge custos Wache gehalten hatte, von mehreren lodernden Fackeln hell erleuchtet wurde. Dafür gab es einen einfachen Grund, denn dort lagen die Gemächer der päpstlichen Verwalter, während der kleinere Hof nur zum Gästehaus des Palasts gehörte.
    Der Offizier blieb stehen. Argwöhnisch blickte er sich auf dem großen, rechteckigen Platz um und entdeckte auf der anderen Seite, vor dem Eingang zu einem der Hauptgebäude, zwei seiner Kameraden. Doch wenn er sie zur Hilfe rief, würde er den Verfolgten warnen. Er preßte die Lippen zusammen und prüfte noch einmal jede Ecke und jeden Winkel des Innenhofs, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden erkennen. Gerade wollte er zu seinen Kameraden gehen, um sie zu fragen, ob sie jemanden aus dem Durchgang hatten kommen sehen, als ihn ein leises Geräusch zu seiner Linken innehalten ließ.
    Er wirbelte herum und starrte in die Finsternis.
    Vor einer der Türen zum Hof stand eine dunkle Gestalt.
    «Wer seid Ihr?» fragte er mit rauher Stimme.
    Der Angesprochene fuhr erschrocken zusammen, gab aber keine Antwort.
    «Tretet vor und gebt Euch zu erkennen!» befahl der Offizier, das gezückte Schwert vor dem Brustpanzer zum Angriff bereit.
    «Im Namen Gottes!» keuchte eine schmeichelnde Stimme. «Zuerst
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