Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Titel: Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)
Autoren: Kera Jung
Vom Netzwerk:
bestechen, ließ er nicht mit einem Grinsen das kleine Porzellanschälchen fallen, so wie er es vielleicht gewollt hätte, sondern verließ wortlos die Küche.
    Andrew zerfetzte nicht die Geschenke, die sie ihm an seinem Geburtstag und an Weihnachten gab, ignorierte sie nur konsequent.
    Doch über den verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht freute er sich diebisch. Und sie tat ihm kein winziges Bisschen leid, verdiente sie es doch nicht besser. Warum wollte sie auch nicht einsehen, dass sie nicht seine Mom war? Sicher, wenn man sich viel Mühe gab, konnte man eine gewisse Ähnlichkeit ausmachen, aber sie roch doch ganz anders !
    Irgendwann musste er allerdings einsehen, dass sie wohl nicht mehr gehen würde. Das war nachdemsein Dad sie geheiratet hatte und kurz bevor dieses kreischende Ding geboren wurde.
    Ohhh ja, Andrew war inzwischen auch mit einer Schwester beglückt worden. Die hieß Claudia und er hasste sie fast genauso sehr, wie die neue Frau seines Vaters.

4.
    An jeden Abend schlief er pünktlich um Mitternacht ein und wachte immer zwischen drei und drei Uhr dreißig auf.
    Ein Weiterschlafen danach war unmöglich. Hätte er sich vor Mitternacht zur Ruhe begeben, wäre die Beendigung der Nachtruhe nur vorverlegt worden. Das hatte er unzählige Male getestet. Offenbar glaubte sein unwissender Körper, drei Stunden Schlaf würden genügen.
    Niemand wusste davon, es war Andrews kleines Geheimnis.
    Doch zwei Jahre stellten eine unvorstellbar lange Zeit im Leben eines kleinen Jungen dar. Langsam aber sicher drohte die Müdigkeit, ihn aufzufressen. Noch gelang es ihm immer irgendwie, sich zusammenzureißen und doch zu lächeln. Auch wenn ihm das leichte Heben seiner Mundwinkel in der Zwischenzeit fast körperliche Schmerzen bereitete.
    Noch bestand er.
    Aber gestern, als er von Gibbs seinen Test zurückbekam, stand dort ein fettes, hässliches B.
    Ein B!
    Für ihn ungefähr die schlimmste, denkbare Katastrophe.
    Andrew war immer der Beste.
    Nicht einer der Besten, sondern der ultimativ, einzigartige, unschlagbare, nie vorher da gewesene.
    Nur so konnte er sichergehen, dass sie ihn in Ruhe ließen .
    Es war so verdammt schwer, sich als Siebenjähriger diese besserwisserischen Idioten vom Hals zu halten. Ein Teil des Deals, damit sie es auch ja taten, war, dass man keinen Ärger machte .
    Nicht auffallen, nicht den kleinsten Fehler begehen, niemals ungehorsam, nie laut sein, immer lächeln, niemals schlecht gelaunt sein, nie eine schlechte Zensur nach Hause bringen, immer gut, besser als gut, der Beste sein!
    Das war sein Weg. Hart und entbehrungsreich verlangte er alles an Kraft ab, was Andrew aufzubieten hatte. Und genau hier drohte sein brillanter Plan zu scheitern:
    Langsam aber stetig gingen seine Kräfte zur Neige.
    Er war so unglaublich müde, so wahnsinnig einsam, fühlte sich so unfassbar hilflos. Alles Attribute, die er nicht unbedingt auf sich anwenden wollte, geschweige denn, dass er sie mit seinen sieben Jahren exakt benennen konnte. Nur leider trafen sie zu.
    Wieder blickte er zu dem kleinen Kinderwecker. Inzwischen war es fast vier Uhr. Zwei weitere Stunden lagen vor ihm, in denen er den Maulwurf spielen musste. Dann würde ein neuer Tag folgen, von dem er nicht wusste, wie er ihn überstehen sollte. Andrew blickte nie sehr weit in die Zukunft, sondern tastete sich von einem Tag zum nächsten vor. Das war schon deshalb angebracht, weil er ja nie wusste, ob er seine allmorgendliche Atemnot ein weiteres Mal überleben würde.
    Irgendwann hatte er sich die Frage gestellt, ob man an Müdigkeit sterben konnte. Eine Antwort fand er bisher nicht.
    Im Moment lebte er noch, was ihn ehrlich überraschte. Möglicherweise war das sogar die Antwort. Irgendwie glaubte Andrew nicht, dass man noch kaputter sein konnte.
    Es setzte ihm zu. Ja. Doch ihn zermürbte, dass er keinen Ausweg fand, kein Ziel sah, kein Ende in Sicht. Er hätte so gern diese bleierne, immer anwesende Schwäche hinter sich gelassen, den Schmerz und all das, was damit zusammenhing. Er wusste nur nicht, wie er das anstellen sollte. Kein Selbstmitleid, etwas Derartiges passte nicht zu seinem Wesen.
    Andrew stellte sich nur zunehmend verzweifelt die Frage, wie es weitergehen sollte.
    Doch eigentlich waren selbst solche Überlegungen verboten. In Wahrheit hätte er sich bereits mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag beschäftigen müssen. Jede vergehende Minute, bedeuteten für ihn sechzig Sekunden Müdigkeit und Schmerz und gleichzeitig die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher