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Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)

Titel: Creatio ex nihilo (Urteil: Leben)
Autoren: Kera Jung
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schlafe.
    Andrew war immer geistesgegenwärtig genug, sich für den Fall der Fälle vorher eine Ausrede einfallen zu lassen. Die erforderliche Kaltschnäuzigkeit, um in jeder noch so delikaten Situation aus dem Stegreif eine schlagfertige und plausible Antwort geben zu können, würde er sich erst in einigen – wenigen – Jahren angeeignet haben. Und so erzählte er mit dem ewigen Lächeln im Gesicht, dass er ein Glas Wasser wolle oder aufs Klo müsse. Sein Dad nahm ihm jede Erklärung ab, doch Andrew glaubte , einige Male diesen verhassten und gefürchteten argwöhnischen Blick ausgemacht zu haben. Und genau deswegen verkniff er sich irgendwann sogar das nächtliche Pinkelngehen.
    Selbst das wirkte vielleicht verdächtig.
    Verdächtig zu sein bedeutete jedoch nichts anderes, als dass man Gefahr lief, gestört zu werden. Oft nur durch Blicke, manchmal jedoch durch aufdringliche und unangenehme Fragen. Schlimmstenfalls drohten neue Besuche bei diesem Doktor Steiner. Und der würde ihm dann jede Menge aufdringlicher und unangenehmer Fragen stellen.
    Andrew war froh, ihn endlich los zu sein. Dieser Mann war ihm unglaublich auf die Nerven gegangen. Dass er nicht mehr zu ihm musste, stellte eine der wenigen guten Neuigkeiten dar, die er innerhalb der letzten Monate verzeichnen konnte.
    Doch er war clever genug, um zu begreifen, dass sich dennoch haufenweise Schwierigkeiten am Horizont auftürmten.
    Sein vorrangiges Problem ließ sich mit einem einzigen Wort umfassen.
     
    Müdigkeit.
     
    In den vergangenen Jahren musste Andrew die schmerzvolle Erfahrung machen, dass es nicht viele Rezepte gegen die Folgen anhaltender Schlaflosigkeit gab. Er versuchte alles, was ihm in den Sinn kam. Doch irgendwann sah er ein, dass sich seine derzeitigen Möglichkeiten stark eingeschränkt ausmachten.
    Erwachsene hatten es einfach. Die nahmen irgendein Mittelchen und waren fit. Manchmal blieben sie sogar Tage am Stück wach, ohne dass man es ihnen ansah. Andrew stand keines dieser Wundermittel zur Verfügung. Er hatte nur sich selbst. Schlafen – so, wie alle anderen Leute - konnte er ja aus irgendwelchen Gründen nicht.
    Vielleicht lag es an der Stille, möglicherweise auch nur an seiner Müdigkeit, die in der Dunkelheit immer doppelt so grausam schien, doch erst nachts wurde ihm in aller Härte bewusst, dass er ganz allein auf der Welt war. Und manchmal, wenn er dieses verstörende Gefühl nicht schnell genug von sich schieben konnte, kam sie: die gefürchtete Verzweiflung.
    Schnell hatte Andrew erkannt, dass er nur dann irgendwie zurechtkam, wenn ihn die Menschen in Ruhe ließen. Damit meinte er alle Personen.
    Begonnen bei seinem Dad, dem Verräter, über seine 'neue' Mom, die er lieben sollte und es nicht tat, bis zu den Lehrern an seiner Schule, diesen Doktor Steiner und den Kindern in seiner Klasse. Kurzum, Andrew mied jeden Menschen, der irgendwann seinen Weg kreuzte.
    Nur leider reagierten die auf seine unmissverständliche Abfuhr keineswegs immer wie erhofft.
    Als Kind befand man sich unter ärgerlicher Dauerbewachung. Jeder Erwachsene schien der Ansicht zu sein, einem Befehle erteilen zu dürfen.
    Sarah war die neue Frau seines Dads, Stephan Norton. Sie hatte absolut keine Ähnlichkeit mit seiner Mom, auch wenn Andrews Vater das ganz anders sah. Diese Sarah war mit Abstand am nervigsten. Ständig versuchte sie, ihm Vorschriften zu machen, legte ihm seine Kleidung bereit und unterbreitete sehr oft seltsame Vorschläge, was seine Freizeitgestaltung betraf. Er sollte „Spielen gehen“. Wie ein Kleinkind. Er sollte „mit dem Rad fahren“ oder „im Pool schwimmen“. Manchmal wurde es ganz abenteuerlich, dann überlegte sie laut, ihn in ein „Sommerlager“ zu entsenden.
    Bisher konnte er wenigstens dieses drohende Fiasko immer noch erfolgreich abwenden. Andrew hatte keine Ahnung, wie er in einem Raum voller Jungen schlafen und gleichzeitig sein allnächtliches Beinahe-Ersticken verbergen sollte.
    Sehr oft versuchte Sarah, ihn zu einem Kinobesuch zu überreden.
    Andrew verabscheute das Fernsehen ebenso, wie die öffentliche, große Variante. Filme machten ihn müde, er konnte sich nur schlecht auf die sich ständig bewegenden bunten Bilder konzentrieren. Daher sah er so gut wie nie fern und besuchte nie das Filmtheater.
    Sarah ließ auch noch andere, absolut unbrauchbare Vorschläge verlauten. Hirnrissige, nutzlose Dinge, die Andrew allesamt ablehnte. Nicht zuletzt, weil sie von ihr stammten.
    Das Problem mit der Kleidung
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