Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
AUSGETRICKST
    An einem Nachmittag im August kamen sie in dem
Ferienhaus an, das sie in Dennis, einem Dorf auf Cape
Cod, gemietet hatten. Kurz darauf stellte Alvirah Meehan
fest, daß mit ihrer Nachbarin, einer erschreckend mageren
jungen Frau, schätzungsweise Ende Zwanzig, etwas nicht
stimmte.
    Zunächst schauten sich Alvirah und Willy ein bißchen
im Haus um, äußerten sich beifällig über das Himmelbett
aus Ahornholz, die rutschfesten Brücken, die freundliche
Küche und die frische, aromatische Meeresbrise, dann
packten sie ihre teure neue Garderobe aus. Nachdem er die
Koffer, ein luxuriöses Set von Vuitton, weggeräumt hatte,
schenkte Willy für sich und Alvirah ein kühles Bier ein,
das sie im Vorgarten mit Blick auf die Bucht von Cape
Cod trinken wollten.
    Willy machte es sich auf einem gepolsterten
Korbliegestuhl bequem, der für seine rundliche Figur wie
geschaffen war, und bemerkte zufrieden, daß sie einen
tollen Sonnenuntergang und gottlob endlich etwas Ruhe
und Frieden zu erwarten hätten. Vor zwei Jahren hatten sie
vierzig Millionen Dollar in der Lotterie des Staates New
York gewonnen. Und seitdem war Alvirah ihm wie ein
wandelnder Blitzableiter vorgekommen. Als erstes fuhr sie
nach Kalifornien, ins berühmte Cypress Point Spa, und
wäre dort um ein Haar ermordet worden. Dann
unternahmen sie gemeinsam eine Kreuzfahrt nach Alaska,
und auf der wurde ausgerechnet ihr Tischnachbar um die
Ecke gebracht. Dennoch war Willy mit der abgeklärten
Weisheit seiner 59 Jahre überzeugt davon, daß sie hier auf
Cape Cod zumindest die Ruhe finden würden, nach der er
bisher vergeblich gesucht hatte. Wenn Alvirah über diesen
Urlaub einen Artikel für den New York Globe schreiben
würde, wäre darin nur vom Wetter und Angeln die Rede.
    Alvirah saß am Gartentisch in Reichweite und hörte ihm
zu. Wenn sie doch bloß daran gedacht hätte, einen
Sonnenhut aufzusetzen! Die Kosmetikerin bei Sassoon
hatte sie ausdrücklich davor gewarnt. «Für Ihr Haar ist
diese dezente rötliche Tönung jetzt einfach optimal,
Mrs. Meehan. Da wollen wir uns doch keine häßlichen
gelben Strähnen zulegen, nicht wahr?»
    Nachdem sie sich von dem Mordanschlag in Cypress
Point Spa erholt hatte, konnte sie die dreitausend Dollar
für die Abmagerungskur dort glatt abschreiben; die Waage
zeigte wieder ihr altes Gewicht an, und ihre Kleidergröße
schwankte zwischen 42 und 46. Doch Willy betonte
regelmäßig, jetzt wisse er wenigstens, daß er eine Frau in
den Armen halte und keinen von diesen halbverhungerten
Zombies in den Modejournalen, die Alvirah so begeistert
studierte.
    In vierzig harmonischen Ehejahren hatte Alvirah die
Fähigkeit entwickelt, mit einem Ohr Willys Redefluß
liebevoll zu lauschen und das andere zuzuklappen. Als sie
den Blick jetzt über die Häuser auf dem grasbewachsenen
Sanddamm, der als Deich diente, wandern ließ und dann
hinunter zu dem blaugrün schillernden Wasser und dem
mit Steinen übersäten Strand, dachte sie beunruhigt, daß
Willy vielleicht doch recht hatte. Sicher, das Kap war
wunderschön, und sie hatte sich von jeher gewünscht, es
kennenzulernen; trotzdem konnte es durchaus sein, daß sie
hier keinen Stoff für einen Artikel fand, der Charley
Evans, ihrem Chefredakteur, interessant genug erschien
für eine Veröffentlichung.
    Vor zwei Jahren hatte Charley einen Reporter zu den
Meehans geschickt, der sie interviewte, wie man sich denn
mit einem Lotteriegewinn von vierzig Millionen Dollar
fühle. Was würden sie damit anfangen? Alvirah war
Putzfrau, Willy Klempner. Gedachten sie
weiterzuarbeiten?
    Alvirah hatte dem Reporter unmißverständlich
klargemacht, so dämlich wäre sie nun wahrhaftig nicht.
Einen Besen würde sie erst wieder zur Hand nehmen,
wenn sie als Hexe auf einen Kostümball ginge. Danach
hatte sie all die Dinge aufgezählt, die sie gern tun wollte,
und Punkt eins war der Besuch in Cypress Point Spa – wo
sie mit all den Berühmtheiten Zusammensein wollte, von
denen sie ihr Leben lang gelesen hatte.
    Das war der Anlaß für Charley Evans, den
Chefredakteur vom Globe, sie um einen Artikel über ihren
Aufenthalt in Cypress Point zu bitten. Er gab ihr eine
rosettenförmige Anstecknadel mit eingebautem Mikrofon,
so daß sie ihre sämtlichen Gespräche aufzeichnen und das
Band abspielen konnte, wenn sie ihren Artikel schrieb.
    Beim Gedanken an ihre Brosche mußte Alvirah
unwillkürlich lächeln.
Sie hatte sich in Cypress Point gehörig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher