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Club der gebrochenen Herzen

Club der gebrochenen Herzen

Titel: Club der gebrochenen Herzen
Autoren: Deborah Moggach
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würde sie bestimmt im Gras landen, ganz unwürdig. Heute Abend aber im Zug der Northern Line hielt sie sich an der Schlaufe fest. Sie prüfte die Leberflecke auf ihren Händen. Anscheinend über Nacht aufgetaucht, geheimnisvoll wie Pilze. Sie stellte sich vor, wie ihre alten, arthritischen Krallen am Laken fingerten, während sie auf dem Totenbett lag, eine Szene aus zahllosen Filmen. Wer würde ihre Leiche entdecken? Sie hatte nicht mal mehr eine Katze, die übers Bett strich, aus Hunger miaute und das Gesicht an ihrer eiskalten Wange rieb.
    Sie stieg in Clapham South aus. Ein herrlich sonniger Tag, wie sie erst jetzt bemerkte. Irgendwo sang eine Amsel, und die Töne strömten dahin und machten die Welt sauberer. Auf dem Heimweg ging sie bei Marks & Spencer vorbei, wo es allerdings grabeskalt war. Ihre Freundin Rachel hatte einmal in der Abteilung für Single-Portionen einen Mann aufgegabelt. »Freitagabend ist am besten«, sagte Rachel. »Wenn sie alleine essen, dann sind sie bestimmt solo. Und gehören zur sozioökonomischen Gruppe A, Typ: höherer Manager, oder zu B: mittlerer Manager, Lehrer.«
    Rachels Affäre war nicht von Dauer gewesen, zumindestaber hatte sie ihr ein gesundes Rot ins Gesicht gezaubert. Danach hatte sie sich in einen jungen Kroaten verliebt, der ihren Boiler reparieren sollte. Heutzutage verbrachte Rachel ihre Abende in einer Art Schlafsaal voll mit seinen Landsleuten, nicht weit vom Flughafen Heathrow, und aß kalte Nudeln aus Plastikbechern.
    »Du musst einfach Bock drauf haben«, riet sie Monica. »Sie können es an den Pheromonen erkennen.« Rachel trug wieder Jeans und stolzierte mit einem Motorrad-Sturzhelm unterm Arm herum, eine persönliche Trophäe von ihrem Lustknaben. »Wir sind sechzig Jahre jung!«
    Wie Monica diesen Satz hasste, die flotte Baby-Boomer-Hymne; es hatte etwas Kleinbürgerliches an sich. Und so einfach war es nicht. Ständig verschob sich ihr Alter, sie bekam es nicht in den Griff. Manchmal fühlte sie sich wie eine runzelige Seniorin – sie war Seniorin. Dann wieder fühlte sie sich wie neunzehn, als man im Kino rauchen und überall parken und sich für drei Pfund die Woche ein Zimmer mieten konnte. Als die Busse noch Schaffner hatten und John Lennon lebte. Als Erbsen und Fischstäbchen die einzige Tiefkühlkost waren.
    Monica schaute auf die Regale mit den Fertig-Gerichten für Singles. Ein Mann trat heran und stellte sich neben sie. Um die sechzig, üppiges Haar, flacher Bauch – eine Seltenheit in der Altersgruppe. Er streckte sich nach dem Eintopf mit Rindfleisch – kein Ehering – und drehte ihn in der Hand, als suchte er eine Antwort.
    Warum nicht? Es könnte passieren, es war Rachel passiert. Sie würden sich verlieben, eine süße Herbstromanze, dann nach Blandford Forum ziehen, eine Stadt, in der Monica nie gewesen war und die also noch voller Möglichkeiten steckte. Sie würden sich über dieses späte Liebesglück wundern, mit dem Glas anstoßen in ihrem Wohnzimmer mit den Holzbalken und über jenen Augenblick im M & S staunen, als ihre Zukunft noch in Kinderschuhen steckte.
    Monica zeigte auf die Regale; sie versuchte die Augenbrauen zu heben, aber ihre Stirn war wie betoniert. »Eine so reiche Auswahl, das verwirrt nur«, sagte sie. Sie wollte hinzufügen: eine so reiche Auswahl und doch nur ein Wort für Liebe. Aber das würde verrückt klingen.
    »Was Sie nicht sagen.« Der Mann legte die Packung in seinen Einkaufskorb und schenkte ihr ein Lächeln.
    »Wie bei all den Fernsehkanälen«, sagte Monica. »Oder den Apps auf dem Handy.«
    »Es gibt nur ein Problem«, seufzte er. »Meine Frau ist Vegetarierin, aber ich mag kein Kaninchenfutter.« Er griff nach einer Packung. »Ob sie wohl Lust auf Brokkoliauflauf hat?«
 
    Es gab ja noch Graham, auf den sie sich freuen konnte. Graham von Norbury, wo auch immer das war. Monica kannte den Namen vage von Abfahrtsplänen. Graham könnte ihr gewiss einiges über die genaue Lage dieses Londoner Stadtteils erzählen, wenn sie sich am nächsten Morgen zum Kaffee trafen; es könnte den Gesprächsball ins Rollen bringen.
    Ehrlich gesagt, allzu große Hoffnungen hatte sie bei Graham nicht. In seiner Kurzbiografie hatte er gesagt, er habe viel Sinn für Humor; ein sicheres Zeichen, dass er keinen hatte. Wie sie alle genoss er es, zu Hause am Kaminfeuer zu sitzen und lange Spaziergänge übers Land zu machen. Er beschrieb sich selbst als sensibel und gleichzeitig durchsetzungsfähig, ein Wort, das sie leicht
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