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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt
Autoren: Gregg Hurwitz
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    W ährend ich den Wagen durch die Haarnadelkurve manövrierte, umklammerte ich fest das Lenkrad und bemühte mich, ja nicht weiter auf meinem Sitz zurückzurutschen. Wenn sich das Messer bewegte, das ich mir unter den Oberschenkel geklemmt hatte, würde es mir das Bein aufschlitzen. Ich hatte die Klinge gut festgeklemmt, und der Griff ragte so hervor, dass ich es jederzeit leicht herausziehen konnte. Beißender Gestank von verbranntem Gummi drang durch die Belüftung ins Wageninnere. Ich widerstand dem Drang, noch mehr aufs Gaspedal zu drücken – in Anbetracht der knappen Zeit durfte ich es nicht riskieren, dass die Polizei mich am Ende noch rauswinkte.
    Ich schoss die schmale Straße entlang. Meine Hände am Lenkrad waren glitschig vor Schweiß, und mein Herz pumpte mir so viel Angst und Adrenalin durch die Adern, dass es mir den Atem nahm. Ich blickte auf die Uhr, blickte auf die Straße, blickte wieder auf die Uhr. Als ich nur noch wenige Blocks entfernt war, fuhr ich an den Straßenrand und brachte den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Gerade noch rechtzeitig riss ich die Tür auf. Während ich mich in den Rinnstein erbrach, beobachtete mich ein Gärtner hinter seinem Rasenmäher mit undurchdringlicher Miene.
    Als ich fertig war, ließ ich mich wieder in den Sitz fallen, wischte mir den Mund ab und fuhr etwas langsamer die steile Steigung hoch. Wie angegeben, bog ich in die Anliegerstraße, und innerhalb weniger Sekunden kam die Steinmauer in Sicht, dann das schmiedeeiserne Gittertor. Ich sprang aus dem Wagen und gab den Türcode ein. Ruckelnd öffneten sich die Torflügel. Die asphaltierte Auffahrt wurde von Jacaranda-Bäumen gesäumt und führte direkt ans hintere Ende des Grundstücks. Schließlich kam das Gästehaus in Sicht. Mit seinen Stuckwänden, dem flachen Ziegeldach und der leicht erhöhten Veranda war es größer als die meisten anderen Häuser in dieser Straße.
    Ich blieb direkt am Fuß der Verandatreppe stehen, neben einem Topf mit Kakteen, und versuchte, wieder ruhig durchzuatmen. Nirgendwo war ein Lebenszeichen auszumachen. Ein gutes Stück vom Gästehaus entfernt konnte man das Hauptgebäude gerade noch durch das dichte Geäst erkennen, aber auch dort war alles dunkel und still. Die Stufen neben meinem Autofenster waren so steil, dass ich die Veranda nicht einsehen konnte. Im Grunde konnte ich fast gar nichts sehen, bis auf die Stufen. Wahrscheinlich war das auch so gedacht.
    Ich wartete. Und lauschte.
    Schließlich hörte ich, wie sich oben knarrend eine Tür öffnete. Ein Schritt. Noch einer. Dann erschien ein Männerstiefel auf der obersten Treppenstufe. Der andere Stiefel folgte. Knie wurden sichtbar, dann Oberschenkel, schließlich ein Oberkörper. Der Mann trug abgewetzte Jeans, einen unauffälligen schwarzen Gürtel, vielleicht ein graues T-Shirt.
    Ich ließ meine Hand zum Griff des Fleischmessers wandern und umklammerte ihn so fest, dass mir die Handfläche weh tat. In meinem Mund spürte ich etwas Warmes – ich musste mir in die Wange gebissen haben.
    Der Mann blieb an der untersten Stufe stehen, höchstens eine Armlänge vom Seitenfenster meines Wagens entfernt. Die Linie des Autodachs schnitt ihn genau in der Mitte ab. Ich wollte mich schon ducken, um sein Gesicht erkennen zu können, aber man hatte mich gewarnt, das lieber nicht zu tun. Er war sowieso schon zu nah.
    Dann klopfte er mit den Knöcheln gegen die Fensterscheibe.
    Mit der Linken drückte ich auf den Fensterheber, und die Scheibe glitt nach unten. Unter meinem Oberschenkel spürte ich die Messerklinge. Ich suchte mir einen Punkt an seinem Oberkörper aus, direkt unter den Rippen. Aber erst musste ich unbedingt noch etwas in Erfahrung bringen.
    Kaum war das Fenster ganz unten, rückte seine zweite Hand in mein Blickfeld und ließ einen faustgroßen Gegenstand in den Wagen fallen. Als er in meinen Schoß fiel, stellte ich fest, dass er erstaunlich schwer war.
    Ich blickte nach unten.
    Eine Handgranate.
    Ich schnappte nach Luft und versuchte, sie zu packen.
    Doch bevor ich sie zu fassen bekam, detonierte sie.

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    1
    Zehn Tage zuvor
    I n Boxershorts trat ich auf die kalten Fliesen meiner Veranda, um die Morgenzeitung hereinzuholen, die – wie könnte es anders sein – mitten in der Pfütze neben dem kaputten Rasensprenger gelandet war. In den Fenstern und Schiebetüren des gegenüberliegenden Wohnblocks, der außer der Postleitzahl wenig mit Bel Air gemeinsam hatte, spiegelten sich die grauen
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