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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Eisengießereien und Maschinenbaubetriebe wie hier. Oskar blickte auf die vielen Gebäude und Parks rechts und links der Invalidenstraße. Er kannte die Gegend gut. Unzählige Male war er hier entlanggelaufen, entweder auf der Flucht vor irgendjemandem oder einfach nur, um die hübschen jungen Damen in ihren Zweispännern zu bestaunen. Heute jedoch saß er auf dem Kutschbock und blickte auf die Fußgänger hinab. Charlotte, Eliza und Humboldt saßen neben ihm, angeregt in ein Gespräch vertieft. Oskar konnte ihrer Unterhaltung nicht folgen. Er konnte nur staunen, wie anders die Welt von hier oben aussah. Oder war Berlin gleich geblieben und er hatte sich verändert?
    Die Hufe der Pferde klapperten über das Kopfsteinpflaster, während sich das Fuhrwerk langsam dem Komplex der Charité näherte. Ihr gegenüber lag das Zoologische Museum der Friedrich-Wilhelms-Universität, ein moderner dreistöckiger Bau, den der Architekt August Tiede auf dem Gelände der ehemaligen Königlichen Eisengießerei errichtet hatte. Sie hatten ihr Ziel erreicht.
    Humboldt war heute wieder in Schwarz gekleidet. Er trug einen langen Ledermantel, dunkle Hosen, eisenbeschlagene Stiefel und einen steifen Zylinder – genau wie an dem Tag, an dem Oskar ihm zum ersten Mal begegnet war. Auch seine Stimmung hatte sich merklich verändert. War er während der letzten Wochen aufgeräumt und freundlich gewesen, so umgab ihn jetzt Kälte und Unnahbarkeit wie der Geruch nach zu scharfem Rasierwasser.
    »Wir sind da«, sagte er und wies den Kutscher an, das Gespann auf den Parkplatz zu lenken. Dann stieg er aus, hielt ihnen die Tür auf und drückte dem heraneilenden Platzwächter eine Münze in die Hand.
    »Kommt mit.« Mehr sagte er nicht, dann schritt er mit großen Schritten die Marmorstufen empor, die zum Haupteingang des Museums führten. Sein Spazierstock erzeugte harte Töne auf dem Stein. Oben angelangt, ging er an einem Plakat vorbei, auf dem stand: »Das Zeitalter der modernen Luftfahrt – ein Vortrag von Carl Friedrich Donhauser«. Er nahm seinen Zylinder ab und betrat mit schnellem Schritt die heiligen Hallen der Wissenschaft.
    Die drei beeilten sich, dem Forscher zu folgen.
    Der große Hörsaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Privat interessierte Zuhörer, Schüler, Studenten, Männer aus Forschung und Wirtschaft und Professoren -alle drängten sich in dem riesigen, nach Bohnerwachs und Putzmitteln riechenden Saal, um einen Blick auf den wundersamen, legendenumwobenen Nachkommen Alexander von Humboldts zu werfen, von dem in den letzten Tagen viel in den Zeitungen zu lesen war. »Umstrittener Forscher aus Südamerika zurückgekehrt«, hatte da gestanden, oder: »Illegitimer Spross Humboldts hält Vortrag an der Universität«. »Münchhausen zurück in Berlin« titelte eine andere Tageszeitung. Die Presse hatte das Thema begeistert aufgegriffen. Wenn schon sonst nichts in der Welt passierte, so hatte man doch endlich hier ein Thema, auf das man sich stürzen konnte. Oskar fragte sich, warum Humboldt sich diesem Spießrutenlauf überhaupt aussetzte. Aber er schien seine Gründe zu haben.
    Durch die rundbogigen Fenster drang Sonnenschein herein, in dessen Licht feinste Staubteilchen schwebten. Der Saal wurde vom Skelett eines imposanten Elefanten dominiert, dessen Stoßzähne interessanterweise nicht aus dem Oberkiefer, sondern, wie bei einem Pflug, aus der Kinnregion ragten. Auf einem Schild stand: Deinotherium. Unteres Miozän. Oskar konnte kaum glauben, dass so ein Tier jemals gelebt hatte. Elefanten waren ja an sich schon seltsame Geschöpfe, aber das hier war einfach nur skurril. Sein Blick wanderte weiter zur Längsseite des Saales, an deren Wand sich große Schautafeln befanden, auf denen, mit Pfeilen versehen, die gesamte Erdgeschichte abgebildet war. Oskar erblickte Riesenfaultiere mit Klauen wie Schaufeln, monströse Gürteltiere und Pferde, kaum größer als ein Hund. Dazwischen waren Echsen, die auf zwei Beinen liefen, und Meeresungeheuer mit Hälsen wie Schlangen. Es schien, als habe jemand die gesamte Schöpfungsgeschichte genommen und sie wild durcheinandergeschüttelt.
    Der Lärm, der den Abenteurern entgegenschlug, war beeindruckend. Vereinzelt brandete Applaus auf, hin und wieder waren Pfiffe und Buhrufe zu hören. Es war eine Atmosphäre wie auf dem Jahrmarkt.
    Sie quetschten sich in die zweite Reihe, in der drei Plätze für sie reserviert waren.
    »Was will denn die Negerin hier?«, hörte man jemanden von hinten
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