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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sie genommen hatten, für andere unkenntlich zu machen. Nach etwa einer halben Stunde kam er zum Kernpunkt seines Vortrags: der Entwicklung des bemannten Fluges. Immer detaillierter erörterte er die unterschiedlichen Flugmaschinen, denen sie auf ihrer Reise begegnet waren. Er warf Zeichnungen an die Tafel, ging auf die verschiedenen Auftriebskörper ein und entwarf mögliche Antriebsarten. Was er zeigte, war den Maschinen nachempfunden, die sie in Xi’mal gesehen hatten, nur dass er sich die Freiheit nahm, einige entscheidende Details auszuklammern oder zu verfremden. Details, von denen er sich nachträgliche Patentrechte versprach, wie Oskar im Vorfeld erfahren hatte. Sein Vortrag gipfelte in einem kühnen Zukunftsentwurf, in dem Luftfahrzeuge aller Größe und Ausprägung den Luftraum bevölkerten und die Menschen in kürzester Zeit an jeden erdenklichen Ort der Welt bringen konnten. Ja, er postulierte sogar, dass es dem Menschen eines Tages gelingen würde, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und den Weltraum zu bereisen.
    Das Publikum hing wie gebannt an seinen Lippen. In dem riesigen, an die tausend Zuhörer fassenden Hörsaal war es so still, dass man das Fallen einer Stecknadel hätte hören können. Alle waren ganz ergriffen von dem Mut und der Kühnheit seiner Entwürfe. Selbst die drei Männer, die wie Aasgeier in der ersten Reihe saßen, schienen beeindruckt zu sein. Oskar war sich inzwischen sicher, dass sie zu den obersten Würdenträgern der Universität gehörten.
    Als Humboldt seinen Vortrag beendet hatte, erfüllte gebanntes Schweigen die heilige Halle der Wissenschaft.
    In die Stille hinein ertönte ein einsames Klatschen. Der Alte war aufgestanden und applaudierte. Es dauerte nicht lange, da stimmten auch seine beiden Kollegen mit ein, wenn auch mit leicht verunsichertem Blick. Es war, als habe jemand einen Korken von der Flasche gezogen. Auf einmal ertönten von überall her Klatschen und Hochrufe. Die Leute waren begeistert. Doch Oskar traute dem Braten nicht. Seine Erfahrung sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte. Es mochte einer noch so zuckersüß reden und dennoch hinter seinem Rücken einen Dolch führen.
    Einige Minuten lang dauerte der Applaus an, dann verebbte er. Als es wieder ruhig geworden war, ergriff der Alte das Wort. »Sehr beeindruckend, Herr Donhauser. Wirklich sehr beeindruckend. Ein interessanter Bericht. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch keine so vermessene Münchhausiade zu hören bekommen. Sehr raffiniert, wie Sie die Details vermieden haben. Nicht ein konkreter Anhaltspunkt. Alles nichts als heiße Luft. Wo soll sich das abgespielt haben? Wo sind die Karten, wo Ihre Notizen? Ich verlange genaue Ortsangaben, damit ich die Geschichte nachprüfen kann.«
    Humboldt verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie ich Ihnen erklärt habe, kann ich Ihnen diese Informationen aus Gründen der Diskretion nicht liefern. Ich habe mein Wort gegeben, den Standort der Stadt zu verschweigen. Und ich pflege mein Wort zu halten.«
    »So, so.« Der Alte ließ ein böses Lächeln sehen. »Ihre Rechtschaffenheit rührt mich zu Tränen. Aber alles, was ich gehört habe, waren Behauptungen. Haben Sie Beweise?«
    Mit einem Mal kehrte Stille ein.
    Oskar blickte auf den Forscher. Klar hatten sie Beweise. Die Pachacutec war nach einem nächtlichen Landemanöver in der Nähe von Spandau in einem Heuschober eingelagert worden. Bis auf ein paar Vertraute Humboldts wusste niemand von ihrer Existenz. Würde Humboldt das Geheimnis seines Luftschiffes offenbaren, nur um von den Mitgliedern der Akademie ernst genommen zu werden? Oskar betete im Stillen, dass er das nicht tun würde.
    »Natürlich habe ich Beweise«, sagte der Forscher und trat vor. »Wenn ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf diese Fotoplatte richten dürfte? Sie wurde belichtet an einem sonnigen Tag im Dezember letzten Jahres in der Andenregion. Sie beweist ganz eindeutig, dass die Flugobjekte, von denen ich spreche, existieren. Mehr noch: dass sie funktionieren. So wahr ich hier vor Ihnen stehe, ich selbst bin damit geflogen und durfte die Wunder der Welt von oben betrachten.« Er deutete ins Publikum. »Hier in Ihrer Mitte sitzen meine Mitstreiter, die jedes Wort, das ich gesagt habe, bestätigen können.«
    Die Altprofessoren drehten sich kurz um, ehe sie die Fotoplatte in Augenschein nahmen. Sie hielten sie gegen das Licht, hauchten darüber, um die Gravuren plastisch hervortreten zu lassen, und examinierten die
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