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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
Autoren: Thomas Thiemeyer
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feixen. – »Dienstpersonal hat hier keinen Zutritt!«, rief ein anderer. – »Frauen raus!« Schallendes Gelächter erklang. Oskars böse Blicke ließen die Zwischenrufer verstummen. – »Idioten!«, schimpfte Charlotte. »Am liebsten würde ich nach hinten gehen und ihnen eins auf die Nase geben.«
    »Lasst nur«, flüsterte Eliza. »Ich bin das schon gewöhnt. Lasst euch davon nicht provozieren.«
    In diesem Augenblick betrat Humboldt mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht das Podium. In seiner rechten Hand hielt er seinen vertrauten Spazierstock, in der anderen seine Vortragsunterlagen. Nachdem er seine Papiere auf dem Stehpult ausgebreitet und überprüft hatte, ob genügend Kreide an der Tafel lag, wandte er sich seinem Publikum zu und klopfte dreimal laut und vernehmlich mit seinem Stab auf den Holzboden.
    Die Menge verstummte.
    Oskars Blick fiel auf drei ehrwürdig aussehende Professoren in der ersten Reihe. Alle trugen Perücken und weite Talare und hatten ihre Unterlagen vor sich ausgebreitet. Wie sie da so saßen, hätte man fast auf den Gedanken kommen können, einer Gerichtsverhandlung beizuwohnen. Der Mann in der Mitte, ein Greis von vielleicht achtzig Jahren, hob seine knöcherne Hand, deutete auf die große Uhr und sagte in die Stille hinein: »Sie sind zu früh.«
    Humboldt zog seine Taschenuhr hervor. »Nach meiner Uhr sind wir pünktlich.«
    Einzelne Lacher flackerten auf.
    »Wir richten uns hier nach der Uhr der Domkirche.«
    »Die geht falsch. Ich richte mich nach Big Ben in London.«
    Jetzt war das Gelächter deutlich lauter. Das Spektakel schien ganz nach dem Geschmack des Publikums.
    »Ruhe!« Die Stimme des Alten klang, als würde der Blitz in einen alten Weidenbaum fahren. Dann: »Wie es Ihnen beliebt, Herr Donhauser. Also? Weswegen wollen Sie uns diesmal die Zeit rauben? Wieder mal eine sensationelle neue Erfindung, die unserer Finanzierung bedarf? Noch eine Expedition, für die Sie unser Geld benötigen? Was ist aus der letzten geworden? Wo sollte es noch mal hingehen …?« Er blätterte in dem Buch, das vor ihm aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Mit zittrigem Finger ging er die Einträge durch. »Ah, da haben wir es ja. Antrag auf Forschungsgelder für eine Expedition in den Kongo. Ziel: ein kleiner See im Norden des Landes. Angeblich ein Zufluchtsort der letzten lebenden Dinosaurier.« Er hob seinen Blick. »Was ist daraus geworden?«
    Humboldt versteifte sich. »Ich wurde an der Elfenbeinküste von Sklavenhändlern beraubt, ehe ich den Kongo flussaufwärts fahren konnte.«
    Ein schmales Lächeln erschien auf dem Gesicht des Alten. »So, so. Und davor? Himalaja, habe ich recht? Die Suche nach dem sagenumwobenen Schneemenschen. Auch ein Fehlschlag. Und davor die Suche nach den versunkenen Reichen von Mu und Lemuria. Ebenfalls ohne Ergebnis. Und so weiter, und so weiter.« Er klappte das Buch zu. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Donhauser, aber Ihre Biografie ist eine Kette von Fehlschlägen. Und trotzdem stehen Sie heute wieder vor uns und versuchen, unsere kostbare Zeit zu stehlen. Mit welchem Recht?« Angriffslustig reckte er den Kopf vor. Oskar fand, dass er aussah wie eine Schildkröte mit weißer Perücke.
    Humboldt ließ sich von der aggressiven Art des Alten nicht einschüchtern. »Da liegt ein Missverständnis vor«, sagte er. »Sie wurden nicht eingeladen, im Gegenteil. Sie haben darauf bestanden, heute anwesend sein zu dürfen, also verhalten Sie sich ruhig und hören Sie zu. Ich hege die stille Hoffnung, dass selbst Sie noch etwas dazulernen können.«
    »Das ist unerhört!« Der Alte war aufgesprungen, doch der Forscher ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ich bin immer noch Mitglied dieser Fakultät«, donnerte er, »und habe das Recht, hier zu reden. Also setzen Sie sich und seien Sie still.« Der Alte schnaufte vernehmlich, dann ließ er sich zurücksinken und verschränkte die dürren Arme vor der Brust. Es war klar, dass er Humboldt bekämpfen würde, wo er nur konnte.
    In die Stille hinein begann der Forscher mit seinem Vortrag. Er fing an mit Leonardo da Vinci, berichtete von dem Fund der Fotografie und kam dann zu ihrer Reise nach Südamerika. Er zeigte die Geschenke, die sie von den Indianern erhalten hatten, und reicherte seinen Reisebericht mit allerlei farbenfrohen Details an.
    Oskar fiel auf, dass er niemals konkrete Ortsangaben machte. Es schien, als ob er ganz bewusst auf die Nennung von Orts- oder Personennamen verzichtete, um den Weg, den
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