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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3
Autoren: M Liu
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schmerzerfüllten
Augen an. »Ein größeres Kompliment gibt es gar nicht.«
    Er drehte sich von mir weg und stieß mit dem Fuß etwas Erde in das Grab. Ich berührte seine Schulter. »Lass mich das machen.«
    Jack stand neben mir und sah dabei zu, wie ich seinen alten Körper begrub. Es fiel mir sehr schwer. Ich hätte gern geweint, aber das war albern, weil das einzig Wichtige doch neben mir stand.
    Trotzdem würde ich sein Gesicht vermissen.
    Am Schluss half mir Zee. Ebenso Rohw und Aaz und natürlich Grant. Doch als er anfing zu husten, sorgte ich dafür, dass er sich ins Gras setzte.
    Und dann war es endlich vollbracht. Begraben und erledigt. Die Jungs schoben den Stein über die weiche Erde, und ich wischte ihn mit meiner Hand sauber. Die Rüstung glänzte. Ich hatte zwar wieder ein Stück meiner Handfläche an sie verloren, aber das war mir jetzt gleich. Ich lauschte den rauschenden Blättern der Eichen und hörte irgendwo in der Nähe einen Vogel singen, der ungeduldig auf das Morgengrauen wartete.
    »Ich sollte lieber gehen«, sagte Jack. »Der Junge braucht seinen Körper zurück.«
    »Seine Erinnerungen«, sagte ich, »nimm sie ihm nicht.«
    Jack zögerte. »Ich hab sie ihm schon einmal gelassen. Und es war ein Fehler.«
    »Diesmal ist es keiner.« Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen. »Er hat jetzt eine Familie.«
    Jack schwieg. Stand nur da, als würde er mich in sich aufsaugen oder in die Vergangenheit schauen oder an etwas denken, das seine Augen mit besorgter und nachdenklicher Wärme füllte.

    »Deine Mutter hatte recht«, sagte er. »Mein gutes, süßes Mädchen.«
    »Jack«, sagte ich.
    Er erhob eine Hand. »Halte Ausschau nach Fremden, die ein Glänzen in den Augen haben … und dazu ein teuflisches Lächeln. Such schon bald nach mir, Liebes. Du bringst einen alten Mann dazu, wieder mal leben zu wollen.«
    Ich griff nach ihm, doch was ich erwischte, war nur Byron, der auf seine Knie fiel. Jack war verschwunden und – ich hatte noch nicht einmal sein Licht verblassen sehen.
    Ich drückte den Jungen an mich und streichelte sein Haar. Grant humpelte heran. Zee und die Jungs kamen auch. Dek und Mal summten ein Schlaflied.
    Byron rührte sich und vergrub das Gesicht in meinem Nacken.
    »Hey«, hauchte ich.
    »Maxine?« Er klang müde, verwirrt und versuchte sich von mir zu lösen. Aber ich ließ ihn nicht los. »Was ist passiert?«
    »Nichts.« Ich küsste seinen Kopf und hielt ihn im Arm. »Jedenfalls nichts, was dir Kopfschmerzen bereiten sollte.«

    Der Junge hatte Fragen, einen ganzen Haufen Fragen; aber er war auch erschöpft. Und so müde, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihn wieder ins Haus zurückzubringen. Ich sah weder die Botin noch den Mahati. Das war auch gut so, denn ich wollte nicht, dass Byron sie sah.
    Ich brachte ihn in mein altes Zimmer. Es war seltsam, hier zu sein. Die Tapete mit den vielen kleinen Pferden löste sich von der Wand, und das alte hölzerne Bettgestell war ramponierter, als ich es in Erinnerung hatte. Ich öffnete das Fenster, um etwas
Luft hereinzulassen, und während der Junge im Bad war, brachten Rohw und Aaz saubere Laken, Decken und Kissen für das Bett, zusammen mit einem Beutel voller Kleidung, an der noch die Etiketten hingen.
    Ich brachte Byron ins Bett. Er schlief schon, bevor ich ihn zugedeckt hatte.
    Die Morgendämmerung war noch nicht ganz angebrochen, als ich mich aufmachte, um zu dem Hügel zurückzugehen. Aber der Himmel am östlichen Horizont verfärbte sich in einen helleren Blauton, und die Sterne verblassten. Die Luft war süß. Die Jungs hüpften an meiner Seite.
    Meine Narbe prickelte. Kleine Haarsträhnen strichen mir über den Hinterkopf.
    »Welten verändern sich«, sagte eine seidenweiche Stimme hinter mir. »Was war, nimmt neue Formen an und wird wiedergeboren.«
    Ich drehte mich um, aber da war niemand. Also blickte ich hoch und sah gerade noch den Rest eines Schattens am Himmel, der dann auch verschwand. Eine Sternschnuppe, die aus der Nacht gefallen war.
    Ich fand Grant dort wieder, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er saß am Grab meiner Mutter.
    »Du bist öfter hier als ich«, sagte ich und ließ mich neben ihm fallen. Er hielt das Amulett seiner Mutter in der Hand.
    Dann schenkte er mir ein erschöpftes Lächeln, das durch die Verletzungen in seinem Gesicht allerdings etwas schief ausfiel.
    »Es scheint mir einfach ein guter Ort zu sein, um über all die kleinen Geheimnisse nachzudenken.«
    So viele Geheimnisse gab
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