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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3
Autoren: M Liu
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liebsten hätte ich mich übergeben.
    Er stieß den Dolch in Grants Kopf. Ich spürte den Schlag und schrie laut los, als wirre Strahlenbündel auf mich fielen. Dann spürte ich den Schnitt.
    »Tu das, und der Schleier wird verschlossen«, sagte der Mann, den ich nicht sehen konnte. »Sieh es. Es soll dein Wille sein.«
    Und die Finsternis flüsterte: So sei es.
    Ich schlug die Augen auf. Die Mahati hatten aufgehört zu kämpfen. Die Stille war umfassend und betäubend. Ein paar von ihnen starrten uns an, andere blickten in den Himmel.
    Der Schleier hatte sich zu schließen begonnen. Ich konnte sehen, wie die rote Kante des Risses verblasste.
    Die Mahati heulten. Die meisten von ihnen sprangen in den Himmel zurück und beeilten sich, wieder in ihr Gefängnis zu kommen. Ob zu ihren Familien oder zu ihren Freunden, ich wusste es nicht, und es war mir gleich. Andere waren zu langsam, und Zee, Rohw und Aaz töteten sie sofort und ohne
Gnade. Ihre kleinen Leiber fegten blitzschnell wie Geschosse durch die Schatten. Waren von Blut besudelt.
    Die Botin kämpfte an ihrer Seite – sie und ein Mahati. Auch sie war von Blut und Verletzungen bedeckt, aber dann sah sie über ihre Schulter zu Grant und mir. Etwas in ihren Augen zeigte Furcht und Entsetzen.
    Die Finsternis nahm zu. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Licht in mir, dieses strahlende Licht. Mein Licht, Grants Licht.
    Du kannst ihn nicht besitzen, sagte ich zur Finsternis . Und mich kannst du auch nicht haben.
    Wir haben euch ja längst, antwortete sie.
    Nein , sagte ich, und eine andere seltsame Macht stieg aus meinem tiefen Inneren empor, eine Flutwelle aus Entschlossenheit, die verzweifelt war und sich wie die Liebe anfühlte.
    Nein , sagte ich wieder. Ich gab meine ganze Seele hinein und umhüllte die Finsternis mit ihr. Nein. Du kannst uns nicht ändern. Du vermagst ja vieles, aber so stark bist du nun auch wieder nicht.
    Ich zwang die Finsternis fort von Grant. Ich riss sie los und schob sie zurück, tief zurück bis in ihre Quelle hinein, dorthin, wo sie immer geschlafen hatte.
    Dort blieb sie auch. Grant machte ein ersticktes, atemloses Geräusch, das wie ein Keuchen oder ein Seufzen klang.
    Und dann schloss sich der Schleier, und er wurde wieder zu Sternen und … Himmel.

21
    I m Laufe der Jahre war ich zu der Überzeugung gekommen, dass meine Mutter gewusst hatte, wann sie sterben würde. Zee hatte zwar nie ein Wort über ihre Ermordung verloren, und die Jungs sprachen auch nicht über die Todesumstände der Mütter, die es vorher gegeben hatte. Aber ich hatte da so eine Ahnung.
    Am Tag vor ihrem Tod waren wir fischen gegangen. Es war mein Geburtstag, und wenn es etwas gab, was wir noch nie getan hatten, dann war es, einen Haken an einer Leine zu befestigen und ihn im Wasser baumeln zu lassen.
    Es war Sommer in Osttexas. Eine Feuchtigkeit wie ein wollenes Laken, das mit kochendem Wasser getränkt worden war. Erstickend, selbst noch im Schatten, wo wir eine Decke auf das harte Gras am Flussufer gelegt hatten. Wir lauschten dem Wind in den Blättern und betrachteten die Reflexionen auf dem braunen Wasser.
    Ich fing keinen Fisch. Meine Mutter auch nicht. Wir saßen nur zusammen, tranken Limonade und genossen unsere stille Gemeinschaft.
    »Ich wünschte, wir hätten mehr Tage wie diese«, sagte meine Mutter.
    Ich hatte sie niemals schwermütig erlebt, aber da lag etwas in ihrer Stimme, in der Luft, in der Art, wie sie ihre Limonade
trank und sorgfältig darauf bedacht war, mich nicht anzuschauen.
    »Ich auch«, sagte ich.
    Meine Mutter starrte auf die Blätter und die glitzernde Sonne. »Manchmal musst du mich gehasst haben, manchmal habe ich dir bestimmt auch Angst gemacht.«
    Ich trank meine Limonade. Meine Mutter trug Jeans und ein enges, ärmelloses Shirt. Abgesehen von der Pistole, die zwischen uns auf der Decke lag, hatte sie ihre Waffen zu Hause gelassen. Ihre Arme schimmerten wie Quecksilber, eingebettet zwischen den schwarzen Schuppen, den knotigen Muskelsträngen, den Biegungen der Klauen und Spitzen, die so realistisch wirkten, dass ich als kleines Kind hatte Stunden damit zubringen können, diese Arme zu berühren und mich darüber zu wundern, dass ich mich nicht schnitt, wenn meine Finger über die Haut strichen.
    »Baby«, sagte sie, »ich bin stolz auf dich.«
    Ich glaube, dass ich errötete oder mein Gesicht hinter dem Limonadenglas versteckte. »Ich habe doch gar nichts gemacht.«
    »Das wirst du aber«, sagte sie, als meine
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