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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3
Autoren: M Liu
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sie es wirklich so, und unterstrich es noch mit einem geheimnisvollen Lächeln. Meine Mutter lächelte selten. Normalerweise war es nur ein Zucken ihres Mundwinkels mit einer gewissen Wärme in ihren Augen. Als ich klein war und ihr an den wenigen Tagen, an denen uns eine Küche zur Verfügung stand, beim Backen zusah, fand ich, dass es das Gleiche war, als würde sie lächeln.
    »Ich bin stolz auf dich«, wiederholte sie und sah mir in die Augen. »Du bist nicht so geschickt mit dem Messer oder dem Gewehr, und du hattest niemals harte Fäuste, aber das spielt keine Rolle. Du hast es dort .« Meine Mutter zeigte auf
meine Brust. »Du hast ein gutes Herz, mein Kind. Vergiss das nie. Nicht wenn die Welt zusammenstürzt, nicht wenn das Schlimmste passiert. Das Schlimmste passiert nämlich immer. Aber du wirst damit fertig werden.«
    Das Lächeln meiner Mutter erlosch, aber nicht die Wärme und auch nicht die Intensität. »Du wirst es ihnen zeigen, Kind. Du wirst ihnen zeigen, worauf es ankommt, und es wird nicht Macht sein, und auch nicht, wie hart du zuschlagen oder wie leicht du töten kannst. Nichts von dem bleibt. Nichts davon hat eine Bedeutung. Nur dies. Halt daran fest – und du wirst niemals zerbrechen. Du wirst dich niemals verlieren. Niemals. Du nicht, mein kleines Mädchen.«
    Ihre Augen glänzten, aber noch bevor ich mich fragen konnte, ob es wohl Tränen waren, umarmte sie mich. Ihre Arme waren stark. Die Jungs, ganz warm, hatten sich zwischen uns befunden.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Ich glaube an dich.«
    Ich glaubte auch an sie. Ich glaubte sogar mehr an sie als an mich selbst.
    Am folgenden Tag sah ich, wie sie starb.
    Danach glaubte ich an fast gar nichts mehr.
    Aber die Dinge ändern sich.

    In den Nachrichten, sowohl den lokalen als auch in den nationalen, wurde berichtet, dass es im Verlauf der Nacht auf zahlreichen Farmen nördlich von Seattle zu mysteriösen und verheerenden Diebstählen gekommen war. Vieh war verschwunden, ganze Herden von Rindern, Pferden und Schweinen. Tiere, die so groß waren, dass es schwierig gewesen wäre, sie zu transportieren, waren innerhalb von Stunden einfach fort. Keiner hatte
eine Erklärung dafür. Niemand hatte etwas gesehen, jedenfalls niemand, den die Polizei für glaubwürdig hielt. Obwohl ein älterer Milchbauer, der an seinem Fenster eine Zigarette geraucht hatte, behauptete, er habe gesehen, wie verdammte fliegende Männer mit seinen Holsteinern davongeflogen waren.
    Die UFO-Anhänger überschlugen sich vor Begeisterung.
    Einige Tage später berichteten die Nachrichtensendungen, dass jede dieser Farmen beträchtliche Geldschenkungen eines anonymen Spenders erhalten hatte, die ausreichten, um all ihre Verluste mehr als auszugleichen. Die Tragödie hatte sich in einen Triumph der Menschlichkeit verwandelt.
    Oder so ähnlich. Jedenfalls klang es gut. Nicht zuletzt waren die Farmer glücklich, wenn auch auf der Hut, und die Polizisten kratzten sich weiterhin an den Köpfen.
    Die verschwundenen Tiere tauchten jedenfalls nie wieder auf.

    In derselben Nacht, in der wir den Schleier geschlossen hatten, zogen wir nach Texas.
    In Seattle hielten wir uns nur lange genug auf, um Byron zu holen, der noch immer schlief und von einem Werwolf mit einer Pistole und einer Hellseherin in roten Cowboystiefeln bewacht wurde, die nur einen einzigen Blick auf Grant werfen musste und sofort eine Migräne bekam.
    Wir sprachen nicht darüber, warum wir nicht in das Apartment zurückgehen konnten. Es war uns vielleicht nicht entfernt genug und mit zu vielen brutalen Erinnerungen gefüllt. Ein Boden, der noch immer voller Blut war, eine Leiche im Badezimmer, die beerdigt werden müsste, ehe jemand sie riechen und man uns des Mordes anklagen würde. Es gab viele Gründe.

    Hauptsächlich aber wollten wir einfach nur weglaufen und wussten nicht, wohin wir sonst gehen sollten.
    Noch eine, höchstens zwei Stunden bis zur Morgendämmerung. Ich bettete Byron auf das alte Sofa. Er rührte sich nicht, nicht mal ein bisschen. Das beunruhigte mich zwar, aber es gab nichts, was ich dagegen hätte tun können.
    Grant saß in der Küche und beobachtete uns. Er blutete aus langen Schnittwunden im Gesicht und an den Händen, wo die Haut aufgeplatzt war. Seine Augen aber machten mir am meisten Angst. Sie waren blutunterlaufen und vollkommen karmesinrot. Um meinetwillen versuchte er zu lächeln, als ich mich neben ihn setzte, aber sein Versuch scheiterte an einem tiefen Atemzug, und so
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