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Castello Christo

Titel: Castello Christo
Autoren: Arno Strobel
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Handschrift. Gestern hat dieser Irre entweder einen ›Ruhetag‹ eingelegt, oder aber das Opfer ist noch nicht gefunden worden. Wobei ich eher Letzteres befürchte.« Varotto machte eine kurze Pause, bevor er in seinen Ausführungen fortfuhr: »Den ersten Toten gab’s am Donnerstagmorgen in einer kleinen Nebenstraße derPiazza di San Paolo: ein Mann Mitte zwanzig, in einer langen Kutte, sein Rücken war übersät mit blutigen Striemen, er trug Handschellen und eine Dornenkrone, und sein Mörder hat ihm die Worte ›Markus 15,15‹ in die Brust geritzt. Ein eindeutiger Hinweis auf das Neue Testament: Um die Menge zufriedenzustellen, lässt Pilatus Barabbas frei und gibt den Befehl, Jesus zu geißeln und zu kreuzigen. Die erste Station des Kreuzwegs: Jesus wird zum Tode verurteilt. Am Freitag dann ein Toter nahe des Vatikans, in der Via Orfeo, Ecke Via Borgo Pio. Sein Genick war gebrochen. Mit einem langen Nagel hat man ihm ein kleines Holzkreuz in die rechte Schulter geschlagen und einen Anhänger mit der entsprechenden Textstelle im Evangelium daran befestigt, als wäre er ein Gepäckstück. So war schnell klar, dass mit ihm die zweite Station nachgestellt worden ist: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern. Samstag früh hat man dann unter einer Brücke im Osten der Stadt, nur ein paar hundert Meter vom Friedhof Campo Verano entfernt, das dritte Opfer entdeckt. Man hätte denken können, der Mann hätte sich von der Brücke gestürzt, wäre da nicht das kleine Holzkreuz gewesen, das auf seinem Rücken lag. Die dritte Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz. Als Sie mich heute früh angerufen haben, habe ich fest damit gerechnet, in dem Waldstück die vierte Station vorzufinden: Jesus begegnet seiner Mutter. Wie sich gezeigt hat, sind wir mit den beiden Toten aber schon eine Station weiter. Deshalb, fürchte ich, muss es einen weiteren, bisher noch unentdeckten Mord geben.« Varotto starrte in seine Kaffeetasse und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Ich will mir lieber nicht vorstellen, wie der inszeniert ist . . .« Er verstummte, riss sich dann aber zusammen und sah Lucciani in die Augen. »Der gesamte Kreuzweg besteht aus vierzehn Stationen. Folglichmüssen wir mit zehn weiteren Morden innerhalb der nächsten Tage rechnen – wenn wir diesen Wahnsinnigen nicht stoppen können.«
    Lucciani war blass geworden. Er stürzte seinen Kaffee hinunter und holte danach tief Luft. »Aber   ... schon das Präparieren der Leichen zur Darstellung der Station von heute Morgen muss Stunden gedauert haben. Und dann die ganzen Vorsichtsmaßnahmen, damit ihn keiner auf frischer Tat ertappt   ... Einer allein kann das doch eigentlich gar nicht schaffen!«
    Varotto nickte. »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Außerdem sind die Opfer ganz bewusst ausgewählt worden. Bei keinem wurde etwas gefunden, mit dem sich seine Identität klären ließe, mit Ausnahme des Dunkelhäutigen von heute waren sie alle im gleichen Alter, und zudem hatten alle diese stümperhafte Tätowierung im Nacken. Gehören sie einer Sekte an? Sind sie vielleicht sogar freiwillig in den Tod gegangen? Das ist schwer vorzustellen.«
    »Wobei diese Tätowierung, wie Sie sagen, ja offensichtlich gestochen wurde, als die Männer noch sehr jung waren. Das würde bedeuten, dass sie bereits als Kinder im Einflussbereich dieser Sekte gestanden haben. Eine Sekte, die es schon so lange gibt, müsste aber bekannt sein. Das wäre ein Ansatzpunkt.«
    Varotto trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht; er war inzwischen kalt und schmeckte fürchterlich.
    »Fehlanzeige. Weder im Internet noch in der einschlägigen Literatur haben meine Männer bislang einen Hinweis auf die Zeichnung entdeckt. Daher haben wir uns gestern Abend entschlossen, der Presse von der Kreuzwegtheorie zu erzählen und die Tätowierung abdrucken zu lassen. Die Zeitungen müssten heute darüber berichten.Vielleicht meldet sich ja jemand, der zumindest einen der Männer identifizieren kann.«
    Das Telefon klingelte. Lucciani hob ab. Erwartungsvoll beobachtete Varotto den jungen Kollegen, dessen Miene sich im Laufe des Gesprächs etwas erhellte.
    »Die Spurensicherung«, erklärte Lucciani, kaum hatte er aufgelegt. »Der dunkelhäutige Mann hatte einen Ausweis in der Tasche. Er ist Libyer.«
    Varottos Körper versteifte sich. So leise, dass Lucciani ihn kaum verstehen konnte, fragte er: »Kommt er aus einem Ort namens Schahhat?«
    Lucciani hob verwundert die Augenbrauen. »Ja, so
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