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Castello Christo

Titel: Castello Christo
Autoren: Arno Strobel
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werde.«
    Voigt nickte bedächtig. »Und? Was denken Sie über den Inhalt?«
    Statt einer Antwort deutete Bertoni auf den Brief und sagte: »Darf ich . . .?«
    Der Kardinal schob das Papier über den Schreibtisch, und Bertoni las den einzigen Satz laut vor, der darauf geschrieben stand:
     
    Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein.
     
    Bertoni ließ das Blatt sinken und wollte schon weitersprechen, doch kam ihm Voigt zuvor:
    »Jesaja, Kapitel 53.   Aber was hat das zu bedeuten?«
    Bertoni zog ein blütenweißes Taschentuch aus seiner Soutane, mit dem er sich den kalten Schweiß von der Stirn wischte.
    »Ich weiß es nicht, Eure Eminenz. Wie Sie wissen, beinhaltet das Kapitel 53 mehrere Prophezeiungen; darin geht es um Christi Geburt, sein Leben und seinen Tod. Und dieser Vers hier«, er deutete auf das Papier, »ist der zwölfte und letzte, der Jesu Tod beschreibt. Im Neuen Testament findet sich dazu ein Pendant bei Matthäus 27,38: ›Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.‹«
    Kardinal Voigt runzelte die Stirn. »Aber das erklärt nicht den Sinn der Botschaft. Sie sagten, man habe Ihnen das Schreiben in die Hand gedrückt, als Sie auf dem Weg ins Büro waren?«
    Bertoni nickte eifrig. »Ja, Eure Eminenz. Als ich heuteMorgen aus der Haustür trat, wartete ein Junge auf mich. Er sagte, eine Straße weiter hätte ihn ein Mann angesprochen und damit beauftragt, und er hätte fünf Euro dafür bekommen. Den Mann konnte er allerdings nicht näher beschreiben, weil er eine Mönchskutte trug mit einer Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte.«
    Gedankenverloren blickte der Kardinal an Monsignore Bertoni vorbei auf das deckenhohe Regal an der gegenüberliegenden Wand. Einige Sekunden saß er so da und schien angestrengt nachzudenken, dann beugte er sich vor und verschränkte die Hände auf der Arbeitsplatte des Schreibtischs.
    »Nun gut   ... Ich denke, wir sollten der Sache keine allzu große Beachtung schenken. Wahrscheinlich war es nur ein harmloser Irrer, der sich berufen fühlt, als Mahner die göttliche Wahrheit zu verkünden. Davon laufen in Rom viele herum.«
    Ungläubig starrte Bertoni ihn an. »Aber Eure Eminenz, warum der letzte Vers, der Jesu Tod beschreibt? Und weshalb bekomme ausgerechnet ich diesen Brief? Ich habe da ein ganz ungutes Gefühl, ich . . .«
    Der Kardinal winkte ungeduldig ab. Demonstrativ zog er einen Aktenordner zu sich heran und schlug ihn auf. »Lassen Sie es gut sein, Monsignore. Wir werden nichts mehr von diesem Menschen hören, da bin ich mir sicher.«
    Selten hatte sich Siegfried Kardinal Voigt so geirrt.

Rom. Via Pietro Mascagni
    4
    Kurz vor halb acht setzte sich Varotto auf den Besucherstuhl vor Luccianis Schreibtisch, und während er seinem jungen Kollegen dabei zusah, wie dieser an einemniedrigen Aktenschrank Kaffee aus einer schwarzen Plastikkanne in zwei Tassen goss, spürte er, wie der Schmerz sich wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins drängen wollte. Genau so eine Thermoskanne hatten Francesca und er   ... Heftig schüttelte er den Kopf, als könnte er so seine Gedanken durcheinanderbringen, damit sie den Faden zu Francesca nicht aufnehmen konnten. Lucciani warf ihm einen fragenden Blick zu.
    »Die Müdigkeit«, erklärte Varotto ausweichend und sah sich demonstrativ in dem Büro um, dessen düstere, spartanische Einrichtung so gar nicht zu dem jungen dynamischen Vice Commissario passte, der nun eine der Tassen vor ihm abstellte, um den alten Schreibtisch herumging und sich auf seinen mit dunkelbraunem Kunstleder bezogenen Drehstuhl setzte.
    »Sie sagten vorhin, Sie hätten etwas anderes erwartet, Commissario. Ich habe mir den ganzen Weg hierher den Kopf zerbrochen, was das sein könnte. Und noch etwas habe ich mich gefragt: Warum sind Sie sich so sicher, dass diese skurrile Szene die fünfte Kreuzwegstation darstellt? Klären Sie mich auf. Ich weiß bisher nur, dass wir es mit einer sehr ungewöhnlichen Mordserie zu tun haben.«
    Varotto atmete schnaubend aus.
    »Ungewöhnlich ist noch ein gelinder Ausdruck für das, was gerade vor sich geht! So etwas ist mir in meiner ganzen Laufbahn noch nicht untergekommen. Vier Mordfälle innerhalb von fünf Tagen, den von heute mitgerechnet, und alle tragen die gleiche
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